Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Hoffnung fährt mit dem Lastwagen davon
Paul Batteux aus Nordrhein-Westfalen hat einen Monat lang Geflüchtete in Athen ehrenamtlich behandelt. Der 32-jährige Arzt hat dabei Menschen getroffen, die nichts mehr zu verlieren haben und trotzdem nicht aufhören zu träumen.
heraus, dass der Asylbewerber homosexuell ist, aber seine Orientierung bislang immer verschwiegen hat — vor seiner Frau, seinen Kindern und all den anderen im Flüchtlingslager. „Er hat dieses Schauspiel all die Jahre aufrechterhalten“, sagt Batteux. Eine Heimlichtuerei, nötig wegen der Angst vor der Reaktion anderer Bewohner. Vor Homophobie und Stigmatisierung, die den Mann in seiner Heimat zur Flucht zwang, möchte er seine Familie in Zukunft unbedingt beschützen. Also versuche man nun, den Iraner dort herauszubekommen, ihm vielleicht eine Wohnung zu besorgen. Ob das klappt? Unklar.
Andere Patienten sind traumatisiert von Krieg und Fluchterfahrungen. Sie berichten von der Prügel der Schlepperbanden, vom Tod von Angehörigen und Freunden im Heimatland. „Psychische Erkrankungen sind das, womit wir es am häufigsten zu tun haben“, sagt der Arzt. Außer den ehrenamtlichen Helfern kümmert sich keiner. Die Stationen der Organisationen werden zu Anlaufstellen für alle Arten von Problemen. „Die letzte Frage unserer Patienten lautet oft, ob wir wüssten, wo sie heute Nacht schlafen können“, sagt Batteux. Belastend sei, dass die Antwort sehr oft „nein“lauten müsse.
Denn die Straßen von Athen seien voll von Wohnungslosen, Prostituierten, Dealern, Müllsammlern. „Das sind die einzigen, die man hier im Lockdown überhaupt sieht“, sagt der Arzt: „Restaurants, Geschäfte – das ist alles zu.“Wo sonst die Touristen ihr Moussaka essen, Wein oder Ouzo trinken, sind die Tische jetzt zusammengeklappt. Die Urlaubshochburg ist zu einer Geisterstadt geworden.
„Und auch für die Geflüchteten macht die Pandemie alles noch schlimmer“, sagt Batteux. Flüchtlingskinder können nicht mehr zur Schule, ihre Eltern nicht mehr zur Beratung. Auch Sprachkurse sind gestrichen. „Alles was diesen Menschen bleibt, ist, in Camps oder in verwahrlosten Wohnungen zu sitzen und abzuwarten.“Ein Leben im Freilaufgefängnis.
Die Schuld daran sieht Paul Batteux aber auch vor der eigenen Haustür, bei der Europäischen Union. Es sei ein Armutszeugnis, dass wohlhabende Staaten wie Deutschland das arme Griechenland und die anderen
Mittelmeerstaaten mit den Flüchtlingen alleine lasse. Die paar Euro für den Aufbau von Camps seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die einzige Lösung, die ich sehe, um diese humanitäre Katastrophe zu beenden, ist, dass alle EU-Staaten endlich mehr Geflüchtete aufnehmen“, sagt er. Es gehe dabei auch nicht um Millionen, sondern nur um einige Hunderttausend, denen man ein menschenwürdiges Leben ermöglichen könnte. Es müssten dringend legale Zuwanderungswege geschaffen werden, sagt er, auch in die Bundesrepublik.
„Selbst wenn wir Deutschen die Asylbewerber alle aufnehmen würden, würde das unsere Gesellschaft nicht überlasten“, sagt Batteux. Im Gegenteil: „Wir brauchen diese jungen, motivierten Leute. Da sitzen die Fachkräfte, die uns fehlen, und verschwenden ihr Leben.“Doch die europäische Migrationspolitik ist träge und zumindest Teile der Gesellschaft Fremden gegenüber misstrauisch. Die Entscheidungsträger, auch in der großen Koalition, wollen offenbar nichts an der Misere ändern, konstatiert Batteux, weil sie Angst vorm rechten Rand haben.
Solange wird es an Ehrenamtlichen wie dem 32-jährigen Arzt hängenbleiben, die Notleidenden wenigstens mit dem Nötigsten zu versorgen. Erst einmal geht es für den Internisten nun aber zurück nach Köln, wo er eine Weile in einer Praxis arbeiten will. Er ist sich aber dennoch sicher: „Das wird nicht mein letztes Mal in Griechenland gewesen sein.“
Wenn er zurückkehrt, werden wohl wieder Männer auf der alten Fabrik in Patras sitzen. Und von einer besseren Zukunft träumen. Ein Traum, der mit den Lastwagen am Hafen davonrollt, wenn einer der Afghanen es mal wieder nicht schafft. Manchmal, ganz selten, sagt Paul Batteux, gewinnen sie aber ihr „Spiel“und kommen raus aus dieser Hölle. Er gönnt es ihnen.