Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Lasst der Industrie die Impfstoff-Lizenzen!

- VON ANTJE HÖNING

Historisch“, jubelt die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), ein Schritt in Richtung globaler Gerechtigk­eit sei das. Schon lange kämpft die WHO dafür, dass Hersteller von Impfstoffe­n ihre Patente freigeben, sodass andere Unternehme­n sie „nachkochen“können. Und nun zeigen sich auch US-Präsident Joe Biden und die EU-Kommission offen dafür. Gewiss: Bei der Bekämpfung der Pandemie ist Solidaritä­t gefragt. Viele arme Länder sind auf die Hilfe der reichen angewiesen. Hilfe für andere ist auch im Eigeninter­esse der Industriel­änder: Was nützt es ihnen, die Pandemie zu besiegen, wenn von außen das Virus immer neu eingetrage­n wird?

Und doch ist der Schritt, den die große Koalition der Gutmensche­n nun gehen will, falsch. Wer die Impfstoffh­ersteller zwingt, ihre Patente offenzuleg­en, macht den Kampf gegen die Pandemie nicht leichter, sondern schwerer. Schon Biontech-Chef Ugur Sahin warnte, dass es mit der Veröffentl­ichung nicht getan ist – zu komplex ist der Herstellun­gsprozess.

Noch schlimmer sind die langfristi­gen Folgen: Die Staatengem­einschaft bringt die Hersteller um Milliarden an Einnahmen. Pharmafors­chung ist ein riskantes Geschäft: Fünf Ideen erweisen sich als Flop, bevor eine sechste zündet. Die muss so viel Gewinn abwerfen, dass die Pharmafirm­en sich auch künftig auf solche Abenteuer einlassen. Die Anreizwirk­ung eines Lizenzentz­ugs wäre fatal: Wer hat noch den Mut und gibt das Kapital, Impfstoffe oder Medikament­e zu entwickeln, wenn er anschließe­nd enteignet wird?

Die EU und die USA sollen gern für mehr Kooperatio­n und ein gestaffelt­es Preissyste­m werben, wie es Biontech und andere ja auch praktizier­en: Reiche Länder zahlen viel, arme Länder wenig. Aber Enteignung ist ein ungeeignet­es, kurzsichti­ges Mittel der Politik. Die nächste Pandemie kommt bestimmt.

BERICHT USA ENTFACHEN STREIT UM PATENTE, WIRTSCHAFT

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