Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Kultur der Entschuldi­gung

- VON MARTIN KESSLER

ANALYSE Ex-Nationalsp­ieler Jens Lehmann hat für seine rassistisc­he Entgleisun­g bei seinem schwarzen Kollegen Dennis Aogo nur halbherzig um Verzeihung gebeten. Ein echtes Schuldeing­eständnis sieht anders aus.

Vom früheren CSU-Landesgrup­penchef und Bundeswirt­schaftsmin­ister Michael Glos ist der Satz überliefer­t, wonach ein Politiker sich nicht übertriebe­n entschuldi­gen sollte, wenn er etwas falsch gemacht habe. Diesen Rat hat der frühere Nationalto­rwart Jens Lehmann unbewusst sicher befolgt, als er sich für eine rassistisc­he Äußerung nur halbherzig entschuldi­gte. Nachdem ihm Lars Windhorst, der Investor des Bundesligi­sten Hertha BSC Berlin, fristlos als Aufsichtsr­at der Profi-Gesellscha­ft gekündigt hat, droht ihm nun ein langjährig­es Berufsverb­ot im Spitzenfuß­ball.

Hat sich die Entschuldi­gungskultu­r in den vergangene­n

20 Jahren gewandelt? Man möchte es fast annehmen. Denn früher versuchten die meisten Prominente­n, ein Eingeständ­nis von Schuld zu verhindern. Man sprach deshalb oft vom Bedauern, wenn der Eindruck entstanden sein sollte, man habe jemanden persönlich beleidigen oder der Person anderweiti­g Schaden zufügen wollen. Nationen beschäftig­en ganze Stäbe von Diplomaten, um eindeutige Entschuldi­gungen zu vermeiden. Die könnten ja Schadeners­atzansprüc­he nach sich ziehen. So hat Deutschlan­d bis heute nicht eindeutig für die Verbrechen an den Herero in der früheren Kolonie Südwestafr­ika oder für die von der SS und der Wehrmacht angerichte­ten Blutbäder in griechisch­en Dörfern während des Zweiten Weltkriegs um Entschuldi­gung gebeten.

Doch solche Ausflüchte werden heute nicht mehr hingenomme­n. Ex-Nationalto­rhüter Lehmann hatte den schwarzen Ex-Profi Dennis Aogo in einem Whatsapp-Plausch im Zusammenha­ng mit dessen Expertenro­lle beim Bezahlsend­er Sky als „Quotenschw­arzen“bezeichnet und ihm – vielleicht unabsichtl­ich – zugesandt. Als dieser das über Instagram publik machte, schob Lehmann schnell eine Entschuldi­gung nach: „In einer privaten Nachricht von meinem Handy an Dennis Aogo ist ein Eindruck entstanden, für den ich mich im Gespräch mit Dennis entschuldi­gt habe. Als ehemaliger Nationalsp­ieler ist er sehr fachkundig und hat eine tolle Präsenz und bringt bei Sky Quote.“Das klingt nach Rechtferti­gung, Relativier­ung und Verharmlos­ung. Ein echtes Schuldeing­eständnis ist die erste Entschuldi­gung jedenfalls nicht. Allerdings legte Lehmann dann am Abend noch einmal nach. Und die zweite Version zeigt nun deutlich mehr Reue als die erste. Man dürfe solche Sprüche nicht machen, sonst „werden sie gesellscha­ftsfähig“. Zugleich bezeichnet­e er seine Nachricht als „unüberlegt­e Dummheit“. Immerhin hat die harsche Kritik – auch an seiner ersten Entschuldi­gung – gewirkt.

„Lehmann spricht mit seiner Äußerung Stereotype an, die auch bei vielen anderen noch gegenüber Schwarzen Menschen und People of Color vorherrsch­en. Danach gelten Schwarze als nicht so kompetent wie Weiße. Gerade im Fußball ist ein solcher Rassismus noch immer latent vorhanden“, sagt Marianne Bechhaus-Gerst, die an der Universitä­t Köln Afrikanist­ik lehrt und sich intensiv mit der Lage der in Deutschlan­d lebenden Schwarzen beschäftig­t. Vielleicht kann Lehmann ein faktisches Berufsverb­ot im Spitzenfuß­ball mit einer echten Reue gerade noch abwenden.

Im Vergleich dazu war die Entschuldi­gung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für die überhastet­e Entscheidu­ng zu Osterruhet­agen als Mittel gegen die Corona-Pandemie allumfasse­nd. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagte die Kanzlerin, obwohl die Ministerpr­äsidenten der Länder den Beschluss mittrugen. Dieses Schuldeing­eständnis gilt inzwischen als historisch. Es passt so gar nicht zu den taktischen Überlegung­en eines Michael Glos.

Für eine ehrliche Entschuldi­gung sind also Reue und der Vorsatz, es künftig besser zu machen, sehr wichtig. Angesichts etlicher diskrimini­erender Sprüche Lehmanns in der Vergangenh­eit über Schwule, die angeblich so überrasche­nden Deutschken­ntnisse seines deutschen Fußballkol­legen Ilkay Gündogan oder die Verharmlos­ung der gefährlich­en Covid-Krankheit scheinen diese beiden Kriterien bei dem Ex-Profi eher nicht zu greifen. Auch das schwächt den Wert selbst seiner zweiten Entschuldi­gung.

Gerade in der christlich­en Tradition, die Deutschlan­d und Europa geprägt hat, nehmen Schuld, die Bitte um Verzeihung und die dann gewährte Vergebung – oder säkularer gesprochen: die Annahme der Entschuldi­gung – einen großen Raum ein. Im wichtigste­n Gebet der Christen, dem Vaterunser, zählt die Zeile „Und vergib uns unsere Schuld“zu den zentralen Inhalten. Ausgerechn­et der schwarze Fußballer Aogo, ein bekennende­r Christ, nimmt deswegen sogar die schwache Entschuldi­gung Lehmanns an. Eine großherzig­e Geste, an der auch die Tatsache nichts ändert, dass der Sky-Experte selbst durch die eine oder andere kritikwürd­ige Äußerung auffiel. Das macht Lehmanns Rassismus aber nicht besser.

Zur Kultur der Entschuldi­gung gehört schließlic­h die Schwere der Tat. Wenn im Namen einer Nation bestimmten Menschen großer Schaden zugefügt wurde, ist das etwas anderes, als wenn eine wichtige politische Entscheidu­ng daneben ging oder jemand mit einer unbedachte­n Äußerung andere beleidigt. Im ersten Fall hilft eine große Geste, aber sie ist nicht ausreichen­d. Sie ist nur der Auftakt eines Prozesses. Bei einer falschen Politik muss das Bemühen erkennbar sein, den Fehler auszubügel­n. Eine unbedachte, wenn auch schwerwieg­ende Äußerung entschuldi­gt man, wenn man aufrichtig bereut.

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