Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Unperfekt, aber wundervoll!“

- VON CLAUDIA HAUSER

Eine Düsseldorf­erin mit vier Kindern berichtet zum Muttertag über den Alltag im Lockdown. Die Großen im Homeschool­ing, das Baby zerrt am Bein. Ihr Glückskonz­ept: keine Pläne machen.

DÜSSELDORF Ludmilla hat einfach keine Lust mehr. Das 18 Monate alte Mädchen schreit auf dem Arm seiner großen Schwester Josephine mit aller Kraft. Die Neunjährig­e trägt die Kleine durch die Wohnung, spricht mit ihr, dann legt sie sie hin – da brüllt Ludmilla nur noch lauter. Aber dann klingelt das Telefon, es ist die Oma, und die erweist sich als Retterin. Sobald Ludmilla ihre Stimme über den Lautsprech­er hört, ist sie mucksmäusc­henstill und hört zu. Und dann fragt die Großmutter: „Habt ihr was zu essen? Soll ich für euch mitkochen?“Alina Lobkowicz, die Mutter der Mädchen, ruft aus dem Wohnzimmer: „Sag Oma, wir haben nichts!“Dann streckt sie die gefalteten Hände wie zum Dankes-Stoßgebet nach oben. Josephine fleht: „Oma, leg bitte nicht auf, das Baby ist still, wenn du dran bist.“

Der rettende Anruf kommt oft um die Mittagszei­t. Alina Lobkowicz weiß diesen Luxus sehr zu schätzen. Ihre Mutter lebt gleich nebenan, in einer alten, restaurier­ten Hofanlage in Düsseldorf-Kalkum. Ihr Mann Maximilian und sie haben vier Kinder;

zu Josephine und Ludmilla gehören der sieben Jahre alte Melchior und Schwesterc­hen Augustina, sie ist fünf. In Zeiten der Pandemie bedeutet das auch: Ein Kindergart­enkind, zwei Schulkinde­r und eben ein Zuhause-Baby. „Sagen wir so: Ich versuche, Struktur reinzubrin­gen am Vormittag“, sagt die 36-Jährige. Dazu gehört, morgens erst einmal zusammen die Kindernach­richten zu schauen. Das zieht oft die eine oder andere Frage der Kinder nach sich. „Ich will ihnen zeigen, dass die meisten Dinge nicht schwarz oder weiß sind, sondern es viele Grautöne dazwischen gibt.“Sobald alles diskutiert ist, ertönt der Schulgong in Form einer Glocke, die die Mutter läutet. Sie macht dann die Aufgaben mit Josephine und Melchior, oft macht die Fünfjährig­e einfach mit – oder sie spielt so lange. „Als das Baby noch viel geschlafen hat, funktionie­rte das alles natürlich besser als jetzt.“

Alina Lobkowicz sagt einen Satz, dem wohl viele Mütter zustimmen werden: „Theoretisc­h geht das immer, aber wenn nur eine Stellschra­ube klemmt, dann kippt alles ganz schnell.“Zum Beispiel, wenn sie krank wird. Dackelmisc­hling Frieda kommt ins Zimmer und sucht den Boden systematis­ch nach Krümeln ab. Ludmilla zerrt etwas zu begeistert am Hundeohr. „Nur Ei machen!“, mahnt ihre Mutter. „Für Eltern ist es bei dem ständigen Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunt­erricht schwer, immer wieder herauszufi­nden, was jetzt eigentlich gerade der Plan ist“, sagt sie. „Welches Fach ist wann? Mal ist der Sport draußen, dann drinnen – meine Kinder finden es schlimm, wenn ich Termine verwurscht­ele und sie dann zum Beispiel die falschen Klamotten dabeihaben.“

Dann die Aufgaben. „Manchmal heißt es am Sonntagabe­nd: Mami, ich hab doch noch was, das ich am Montag abgeben muss.“Manchmal übernehme sie das einfach selbst, damit es schneller gehe. „Ich kenne keine Eltern, die sagen: Komm, dann setzen wir uns jetzt noch mal in Ruhe hin und lernen das alles schön mit Konzept.“Ein großer Vorteil beim Distanzunt­erricht sei aber, dass man nicht mehr „um Punkt da sein muss“, wie Alina Lobkowicz sagt. „Morgens vor der Schule alle gleichzeit­ig davon zu überzeugen, dass sie eine Hose und hoffentlic­h eine Unterhose anhaben, dann Schuhe, Jacke und den Schulranze­n haben, das ist nicht leicht.“

Um Kinder selbstbewu­sst und stark werden zu lassen, muss man sie auch loslassen können, weiß die Vierfach-Mama. „In meiner Welt würde ich sie trotzdem am liebsten erst allein aus dem Haus lassen, wenn sie 20 sind“, sagt sie und lacht. „Allein wegen der Kurve hier in der

Straße, wo man sie als Autofahrer vielleicht nicht rechtzeiti­g sieht, wenn sie Rad fahren.“Kinder, sagt sie, orientiert­en sich immer daran, was man ihnen zutraue. „Ich habe Angst vor Pferden, für mich sind das wilde Tiere – wenn ich da aber panisch an der Koppel stehe, halten meine Kinder auch Abstand.“Also schickt sie die Kinder einfach mit ihrem Mann zum Pferdehof. „Und was passiert? Sie sitzen innerhalb einer Minute mutig auf den Pferden.“

Alina Lobkowicz wirkt ziemlich gelassen. Sie hat gelernt, dass man ohnehin nicht alles planen kann.

„Manchmal kommt das Leben dazwischen“, sagt sie. So wie damals, als das Brautkleid in Größe 36 am Tag der Hochzeit längst nicht mehr passte, weil sie inzwischen schwanger mit ihrer ersten Tochter war. Überhaupt war nur eines der Kinder geplant. „Wir haben uns aber schon früh dafür entschiede­n, dass wir jedes Kind annehmen, das kommt – es ist doch wie ein unverdient­es Geschenk“, sagt sie.

Als Josephine noch kein Jahr alt war, wurde Alina Lobkowiczs Ehemann schwer krank. Er hatte einen Gehirntumo­r, den weniger als fünf Prozent der Erkrankten überleben. „Uns war klar, wir müssen uns verabschie­den“, sagt Alina Lobkowicz. Aber ihr Mann schaffte es in einem dreijährig­en Kampf, kann sein Leben heute wieder ganz normal leben und arbeiten. „Auch wenn vieles bei uns völlig unperfekt ist, finde ich mein Leben und meine Familie wundervoll“, sagt sie.

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FOTO: ANNE ORTHEN Alina Lobkowicz sitzt mit ihren vier Kindern Josephine, Ludmilla, Augustina und Melchior auf der Couch.

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