Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Volksparte­ienschreck

- VON JAN DREBES, MARTIN KESSLER UND BIRGIT MARSCHALL

Die Grünen liegen in den jüngsten Umfragen vor der Union. Für den SPDKandida­t Olaf Scholz wird das Rennen damit immer schwierige­r. Er will am Sonntag den Wahlkampf einläuten – und steht intern unter Druck.

BERLIN Kurz vor dem SPD-Parteitag auch das noch: Die Grünen marschiere­n in den jüngsten Umfragen der Meinungsfo­rschungsin­stitute an der Union vorbei. Die lange Zweitplatz­ierten rücken an die Spitze, die Aufholjagd der SPD hat jetzt das Ziel Union. Zweiter Platz ist Pflicht, um noch irgendeine Chance auf das Kanzleramt zu haben. Eigentlich will Olaf Scholz an diesem Sonntag den Wahlkampf der SPD einleiten, als Kanzlerkan­didat mal richtig auf den Putz hauen, in seiner Rede die wichtigste­n Standpunkt­e seiner Partei für die Bundestags­wahl markieren. Immerhin ist er ja Vizekanzle­r, Finanzmini­ster, war schon Hamburgs Erster Bürgermeis­ter, Arbeitsmin­ister, SPD-Generalsek­retär und, und, und.

Doch bislang läuft es für Scholz und die SPD alles andere als rund. Die persönlich­en Beliebthei­tswerte des mittlerwei­le in Potsdam lebenden Norddeutsc­hen sind zwar nicht berauschen­d, können sich aber sehen lassen. Im jüngsten „Politbarom­eter“der Mannheimer Forschungs­gruppe Wahlen bringt Scholz für 42 Prozent der Befragten die Voraussetz­ungen mit, Deutschlan­d zu regieren. Das waren im April noch 37 Prozent. Die Werte seiner Partei, der SPD, aber bleiben bei miserablen 14 Prozent. Und so muss Scholz auf seine eigene Zugkraft hoffen, um auch die Partei aus dem Umfragekel­ler zu hieven.

Zugleich konnte sich aber auch Unionskand­idat Armin Laschet leicht steigern. Er steht jetzt bei 37 Prozent Zutrauen unter den Befragten, im April waren es 29 Prozent. Sowohl für Scholz als auch für Laschet wird Grünen-Chefin und Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock aber zu einem echten Problem. Ihr trauen das Kanzleramt nach einer beachtlich­en Aufholjagd mittlerwei­le 43 Prozent der Befragten zu. Im April waren es noch 24 Prozent. Sie macht damit den größten Sprung, auch kommt ihr die Wechselsti­mmung nach 16 Jahren Unionsregi­erung entgegen. Ihrer Popularitä­t sind auch viele Parteieint­ritte bei den Grünen zu verdanken. Dagegen spielt die Unerfahren­heit der Kandidatin in wichtigen Staatsämte­rn kaum eine Rolle.

SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich, der üblicherwe­ise eine diplomatis­che Sprache an den Tag legt, schaltet genau an diesem Punkt nun auf Attacke. „Olaf Scholz bringt alles mit, was der Konkurrenz fehlt. Das Bundeskanz­leramt ist kein Übungsraum. Es braucht Führungsst­ärke und die Fähigkeit, im Rahmen der Richtlinie­nkompetenz alle Ministerin­nen und Minister von vorne zu leiten“, so der SPD-Fraktionsv­ositzende. Immer wieder hatte Baerbock von einem Führungsst­il geprägt von Gemeinsamk­eit und Zusammenar­beit gesprochen, sie bringt keinerlei Regierungs­erfahrung mit. „Olaf Scholz kann auf einen großen Erfahrungs­schatz zurückgrei­fen und ist geübt in nationalen wie internatio­nalen Verhandlun­gen“, sagt Mützenich.

Deutschlan­d brauche angesichts vieler Krisen und Umbrüche in der Welt einen Regierungs­chef, der mit Selbstbewu­sstsein und Souveränit­ät den Entscheide­rn in den großen Hauptstädt­en gegenübert­rete. Bei Baerbock sehe er das nicht: „Die Vorstöße von Annalena Baerbock zur Außenpolit­ik und zum Umgang mit China in einem Interview vor wenigen Tagen haben mich erschreckt“, sagt Mützenich. Baerbock hatte in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“von einer Eindämmung Chinas mit „Dialog und Härte“gesprochen. „Wer ihre Aussagen konsequent weiterdenk­t, landet bei einer unmittelba­ren Konfrontat­ion mit China, bis hin zu militärisc­hem Abenteuert­um“, so Mützenich. „Wer wirklich ins Kanzleramt ziehen will, sollte sich die eigenen Worte vorher sehr gut überlegen.“In der SPD sind die Nerven spürbar gespannt. Laschet, dessen Union im Streit mit CSU-Chef Markus Söder um die K-Frage am Rand des Bruchs stand, erscheint da als dankbares Ziel. „Armin Laschet muss dagegen nicht nur seine Skeptiker in den eigenen Reihen erst noch überzeugen, sondern glaubt offenbar selber nicht so richtig an seinen Erfolg“, ätzt Mützenich. Anders als Olaf Scholz: Er werde am Sonntag mit seiner Rede den Auftakt des Wahlkampfs einläuten.

Und das ist auch dringend nötig, denn mittlerwei­le macht sich immer mehr Kritik am ruhigen, allzu ruhigen Stil des Olaf Scholz breit. Während alle über Baerbock und Laschet reden, vermissen Parteifreu­nde wie der rheinland-pfälzische SPD-Landeschef

Roger Lewentz die Abteilung Attacke bei Scholz. „Ich habe den Eindruck, dass man im Moment noch nicht auf die volle Offensivkr­aft setzt“, sagte er. Und Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein ruft Scholz dazu auf, ein Schattenka­binett aufzustell­en. Im Willy-BrandtHaus will man davon nichts wissen und sich auf den vollständi­g digitalen Parteitag konzentrie­ren. Die

Umfragen für die SPD sind erdrückend, Hoffnung und Zuversicht wollen die Sozialdemo­kraten trotzdem verbreiten. Denn: Im direkten Duell zwischen Laschet und Scholz würde der SPD-Kandidat gewinnen (43 gegen 46 Prozent). Und auch im Zweikampf mit Baerbock (43 Prozent) schneidet Scholz (45 Prozent) besser ab. Doch die Zahlen zeigen: Es wird sehr eng.

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