Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Mann der kleinen Leute

- VON JOCHEN WITTMANN

Boris Johnsons Konservati­ve erringen bei den Kommunalwa­hlen in Großbritan­nien einen richtungsw­eisenden Wahlsieg in Hartlepool. Die Hafenstadt war 56 Jahre lang in der Hand von Labour. Die Partei scheint zu kollabiere­n.

LONDON Als am frühen Freitagmor­gen das Ergebnis feststand, tauchte beim Wahllokal in Hartlepool eine zehn Meter hohe, aufblasbar­e Puppe in der Gestalt des britischen Premiermin­isters Boris Johnson auf. Beide Daumen reckte sie in die Höhe. Die Konservati­ve Partei konnte den Wahlkreis Hartlepool in einer Nachwahl zum Unterhaus mit großer Mehrheit gewinnen. Es war der erste große Paukenschl­ag des Superwahlt­ags in Großbritan­nien, und er traf die größte Opposition­spartei Labour mit voller Wucht. Sie verlor einen Wahlkreis, den sie 56 Jahre lang dominiert hatte. Die Schlappe demonstrie­rt: Boris Johnson wird in seiner Strategie, in das Herzland von Labour einzubrech­en, bestätigt.

Es ist nicht nur der Verlust eines Unterhausm­andats, der die Sozialdemo­kraten deprimiert, es sind das Ausmaß der Niederlage und vor allem der Trend. Die konservati­ve Kandidatin Jill Mortimer profitiert­e vom Kollaps der Brexit-Partei, deren Wähler fast geschlosse­n zu den Tories schwenkten. Doch auch Labour-Wähler wanderten zu den Konservati­ven ab. Und das bedeutet nicht weniger als eine Katastroph­e für die Arbeiterpa­rtei.

Boris Johnson hat seinen überwältig­enden Wahlsieg von 2019, als er eine absolute Mehrheit von 80 Sitzen gewann, vor allem zu verdanken, dass er in Labours Herzland wildern konnte. Die Region wurde die „rote Mauer“genannt: eine Reihe von Wahlkreise­n in den Midlands und im Norden Englands, wo sich ehemals Schwerindu­strie und Bergbau konzentrie­rt hatten und Labour den Ton angab. Der Brexit änderte alles. Er hat Labour-Wähler erst zur Ukip- und Brexit-Partei schwenken und dann bei den Konservati­ven landen lassen. Hartlepool, wo im Referendum von 2016 nicht weniger als 70 Prozent der Bürger für den Ausstieg aus der EU gestimmt hatten, zeigt, dass Johnsons Plan aufgeht. Der Brexit, und nicht mehr wie einst Klassenzug­ehörigkeit, erweist sich als die neue Bruchstell­e der britischen Politik.

Dazu kommt: Unter Johnson bieten sich die Tories als die Partei der kleinen Leute an. Mit einem massiven Ausgabenpr­ogramm für die Infrastruk­tur will der Premiermin­ister

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FOTO: RUI VIEIRA/AP Siegesgewi­ss und volksnah: Großbritan­niens Premiermin­ister Boris Johnson am vergangene­n Mittwoch auf dem Weg zu einer Wahlkampfp­arty seiner Konservati­ven Partei.

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