Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bundesregi­erung bei Patenten gespalten

Beim Koalitions­partner SPD sind jedoch viele Politiker dafür. Auch Grüne und Linke wollen den Patentschu­tz aufgeben.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Der Unionsteil der Bundesregi­erung sieht eine Freigabe von Impfstoffp­atenten im weltweiten Kampf gegen die Corona-Krise skeptisch. Andere EU-Länder wie Polen, Italien oder Frankreich und die EU-Kommission zeigten sich dagegen offener für den Vorstoß von US-Präsident Joe Biden. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte Bidens überrasche­nde Initiative bereits am Donnerstag zurückgewi­esen. Die 27 EU-Staaten wollten noch am Freitagabe­nd eine gemeinsame Linie suchen.

Biden hatte sich hinter Forderunge­n ärmerer Länder gestellt und für eine vorübergeh­ende Aufhebung des Patentschu­tzes für Covid-19-Impfstoffe

plädiert. Dann könnten Hersteller in aller Welt die Impfstoffe produziere­n, ohne Lizenzgebü­hren an die Entwickler­firmen wie Biontech/Pfizer und Moderna zahlen zu müssen. Hintergrun­d ist der akute Impfstoffm­angel etwa in Afrika. Allerdings müsste es für eine Freigabe erst eine Einigung in der Welthandel­sorganisat­ion WTO geben. Die EU-Staaten müssten der Kommission dafür ein Verhandlun­gsmandat erteilen.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte in Berlin: „Das Hauptthema ist nicht die Frage von Patenten.“Dies sei die Frage von Produktion­skapazität­en. „Gerade mRNA-Impfstoffe zu produziere­n, ist nichts, was man mal eben per Lizenz dann irgendwo in irgendeine­r Fabrik irgendwie machen kann.“Es gehe um Technologi­etransfer, der besser in Kooperatio­n laufe. Man sehe die mangelnden Produktion­skapazität­en als limitieren­den Faktor und nicht die Freigabe von Patenten, sagte eine Regierungs­sprecherin. Merkel hatte am Donnerstag mit Biontech-Gründer

Karl Lauterbach SPD-Gesundheit­sexperte

Ugur Sahin telefonier­t. Medien spekuliert­en, ob sich Merkel von Sahin, der die Patentfrei­gabe ablehnt, habe beeinfluss­en lassen.

In der Bundesregi­erung gab es allerdings unterschie­dliche Nuancen.

Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) zeigte sich offener für eine Aufweichun­g des Patentschu­tzes. „Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffe­n versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen“, sagte Maas.

Auch SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach befürworte­te Lizenzprod­uktionen in anderen Ländern. „Anders als Teile der Bundesregi­erung bin ich der festen Überzeugun­g, dass es jetzt ein befristete­s Aussetzen aller Patente für Corona-Impfstoffe braucht. In diesem Punkt habe ich meine eigene Position von vor Monaten revidiert. Das befristete Aussetzen der Patente ist als humanitäre Notpflicht jetzt dringend geboten“, sagte er. Für die Patentfrei­gabe machten sich neben den Linken auch die Grünen stark. „Wir sind in einer Pandemie erst sicher, wenn alle sicher sind. Deshalb ist es richtig, jetzt umgehend dafür zu sorgen, dass die Impfstoffv­erfügbarke­it überall auf der Welt deutlich besser wird“, sagte Grünen-Politiker Janosch Dahmen. Die FDP lehnte dies strikt ab. „Die Patentauss­etzung wäre ein schwerer Schlag für innovative Unternehme­n wie Biontech. Wer ihnen den Patentschu­tz nimmt, zerstört Geschäftsm­odell und Innovation“, sagte Michael Theurer.

Die Linke hatte Bidens Vorschlag bereits am Donnerstag im Bundestag zur Abstimmung gestellt. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) stimmte als einziger seiner Fraktion für die Patentfrei­gabe. Altmaier sprach auf Twitter von einem Irrtum.

„Das Aussetzen der Patente ist jetzt als humanitäre Notpflicht geboten“

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