Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Mein Beuys
In dem Jahr, in dem die Kunstwelt den 100. Geburtstag des Künstlers feiert, ist unserem Autor eingefallen, dass er ein Werk von ihm besitzt, das er sträflich vernachlässigt hat. Eine Spurensuche.
Ich kann mich nicht erinnern, es länger an einer Wand hängen gesehen zu haben. Seit vielen Jahren steht es, im Karton verpackt, in einer lichtgeschützten Ecke bei mir zu Hause. Erst jetzt, zum Jubiläum von Joseph Beuys, ist mir wieder eingefallen, dass ich tatsächlich ein Werk von ihm besitze. Einen Siebdruck. Handsigniert. Vor ein paar Tagen habe ich ihn wieder hervorgekramt. Und sehr, sehr lange angesehen.
Als mein Vater das Bild irgendwann Ende der 70er erwarb, war der Aktionskünstler schon über Düsseldorf hinaus berühmt geworden. Gleichwohl fremdelte ein beachtlicher Teil der Deutschen mit seiner Kunst, auch wenn er sie wie kaum ein anderer seiner zeitgenössischen Kollegen zu inszenieren wusste. Ich hatte von all dem keine Ahnung, ich war jung, und wenn der Name Beuys fiel, dachte ich an den Plural des englischen Wortes „boy“.
Auch meine Großeltern hatten mit der Fluxus-Bewegung absolut nichts am Hut. Ich erwähne das, weil ich oft die Ferien bei ihnen verbrachte. Die Bilder, mit denen sie sich umgaben, und die ich oft betrachtete, zeigten meist Landschaften. Immerhin: Eine meiner Vorfahrinnen aus dem 19. Jahrhundert hatte es als Malerin mit Motiven aus Düsseldorf und der Eifel zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Darüber hinaus gab es Porträts meiner Ahnen als Ölgemälde aus der Biedermeierzeit, die mit einiger Professionalität angefertigt worden waren.
Wenn ich dann wieder in mein Elternhaus kam, fiel mir immerhin jedes Mal auf, wie gänzlich anders die Werke – vorwiegend Drucke – waren, die dort hingen. Jankel Adler war vertreten, Horst Janssen, ein Karl Schmidt-Rottluff, um einige zu nennen. Und dann war da dieses Bild von Beuys. Ein rätselhaftes Werk, das irgendwie an eine Höhlenmalerei erinnerte, vielleicht kurz nach Erfindung des Rads, oder an die Zeichnung auf einer Schultafel, die ein Unterprimaner angefertigt haben könnte, der zu Beginn der großen Ferien versehentlich im Klassenraum vergessen und dort für ein oder zwei Wochen eingeschlossen worden war.
So lautete jedenfalls die Exegese einiger Familienmitglieder, die sich daran abarbeiteten, den Sinn
„Die Welt ist voller Rätsel, für diese Rätsel aber ist der Mensch die Lösung“Joseph Beuys