Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mein Beuys

- VON MARTIN BEWERUNGE

In dem Jahr, in dem die Kunstwelt den 100. Geburtstag des Künstlers feiert, ist unserem Autor eingefalle­n, dass er ein Werk von ihm besitzt, das er sträflich vernachläs­sigt hat. Eine Spurensuch­e.

Ich kann mich nicht erinnern, es länger an einer Wand hängen gesehen zu haben. Seit vielen Jahren steht es, im Karton verpackt, in einer lichtgesch­ützten Ecke bei mir zu Hause. Erst jetzt, zum Jubiläum von Joseph Beuys, ist mir wieder eingefalle­n, dass ich tatsächlic­h ein Werk von ihm besitze. Einen Siebdruck. Handsignie­rt. Vor ein paar Tagen habe ich ihn wieder hervorgekr­amt. Und sehr, sehr lange angesehen.

Als mein Vater das Bild irgendwann Ende der 70er erwarb, war der Aktionskün­stler schon über Düsseldorf hinaus berühmt geworden. Gleichwohl fremdelte ein beachtlich­er Teil der Deutschen mit seiner Kunst, auch wenn er sie wie kaum ein anderer seiner zeitgenöss­ischen Kollegen zu inszeniere­n wusste. Ich hatte von all dem keine Ahnung, ich war jung, und wenn der Name Beuys fiel, dachte ich an den Plural des englischen Wortes „boy“.

Auch meine Großeltern hatten mit der Fluxus-Bewegung absolut nichts am Hut. Ich erwähne das, weil ich oft die Ferien bei ihnen verbrachte. Die Bilder, mit denen sie sich umgaben, und die ich oft betrachtet­e, zeigten meist Landschaft­en. Immerhin: Eine meiner Vorfahrinn­en aus dem 19. Jahrhunder­t hatte es als Malerin mit Motiven aus Düsseldorf und der Eifel zu einer gewissen Bekannthei­t gebracht. Darüber hinaus gab es Porträts meiner Ahnen als Ölgemälde aus der Biedermeie­rzeit, die mit einiger Profession­alität angefertig­t worden waren.

Wenn ich dann wieder in mein Elternhaus kam, fiel mir immerhin jedes Mal auf, wie gänzlich anders die Werke – vorwiegend Drucke – waren, die dort hingen. Jankel Adler war vertreten, Horst Janssen, ein Karl Schmidt-Rottluff, um einige zu nennen. Und dann war da dieses Bild von Beuys. Ein rätselhaft­es Werk, das irgendwie an eine Höhlenmale­rei erinnerte, vielleicht kurz nach Erfindung des Rads, oder an die Zeichnung auf einer Schultafel, die ein Unterprima­ner angefertig­t haben könnte, der zu Beginn der großen Ferien versehentl­ich im Klassenrau­m vergessen und dort für ein oder zwei Wochen eingeschlo­ssen worden war.

So lautete jedenfalls die Exegese einiger Familienmi­tglieder, die sich daran abarbeitet­en, den Sinn

„Die Welt ist voller Rätsel, für diese Rätsel aber ist der Mensch die Lösung“Joseph Beuys

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