Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Konzert-Bussis für die Welt

Igor Levit, künftiger „Artist in Residence“, gab einen Klavierabe­nd in der Tonhalle.

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Es ist ein Klavierabe­nd passend zur Pandemie. In seiner späten As-Dur-Sonate zitiert Beethoven die Arie „Es ist vollbracht“aus Bachs „Johannes-Passion“, und in seinen „Vier letzten Gesängen“(hier in der Klavierfas­sung) stimmt Brahms das Kirchenlie­d „O Tod, wie bitter bist du“an. Es liegt ein bisschen Abschied über diesem Abend in der Tonhalle Düsseldorf, aber er ist auch eine Wendestell­e – nämlich der letzte Klavierabe­nd, den Igor Levit, der neue „Artist in Residence“der Tonhalle, aus einem Konzertsaa­l streamt. Er hofft auf Öffnungen und auf die Menschen, die einen Saal beatmen. Er möchte ja unser aller Igor sein, nicht nur eine Bildschirm­figur,

die pianistisc­he Wohltaten allenfalls digital verteilt.

Jedenfalls spielt er mit jenem Ernst, jener Melancholi­e, die die Hoffnung nicht beerdigt hat. Auch Beethovens Sonate ist hier einer der letzten Gesänge, ein fließendes, sprechende­s Angebot zur Begegnung

von Kunst, Passion und Intellekt. Andere Pianisten würden am Ende noch heiteres Geklingel und Trara veranstalt­en, Levit ist nicht danach. Er spielt und spricht einfach, aber verbindlic­h. Und trostvoll. So spielt man Klavier in der Pandemie.

Und während Levit musiziert, lesen wir im mitlaufend­en Chat-Kanal, dass viele Menschen in diesem Moment mit ihm und der Tonhalle verbunden sind. Es gibt „Prösterche­n“aus Oberstdorf, Bussis aus Wien und viele Herzchen aus Moskau. Das wäre mal ein schöner Titel für eine Doktorarbe­it: „Küsschen und Seelentros­t – Streaming-Kommentare zu Klassikkon­zerten in der Pandemie“. Wolfram Goertz

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FOTO: END Die Tonhalle am Ehrenhof.

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