Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Lockruf des Trampelpfads
Der Lockdown hat Spaziergänge wieder populär gemacht – auch abseits der Wege. Wer die so entstehenden Pfade nutzt, zerschneidet Wälder, Parks und Naturschutzgebiete. Was sind die Gründe? Und wie schlimm ist das wirklich?
wird erkennbar. Die Schuhe der Nutzer pressen den Bewuchs zunächst platt auf den Boden, dann drücken sie ihn in die Erde. Sohlen reißen die Grasnarbe auf, hinterlassen blanke, komprimierte Erde. Untersuchungen ergaben, dass nur etwa 15 Spaziergänger binnen weniger Stunden nötig sind, um auf einer feuchten Wiese einen Trampelpfad entstehen zu lassen.
Jürgen Götte ist Grünflächenchef des Bezirks Berlin-Mitte und somit zuständig für den Hauptstadtpark Großer Tiergarten. „Wir verlieren durch Trampelpfadbenutzer viele Hektar an Naturfläche“, klagt er. „Aber schwerer als der reine Flächenverlust wiegt auch deren verändertes Verhalten: „Die Besucher wollen ihr Freiheitsgefühl genießen, sich selbst in der Natur verwirklichen.“Böser Wille? „Nicht wirklich, sie denken einfach nicht daran, was ihr Tun kaputtmacht.“Schlimm? „Sehr schlimm. Und es wird jedes Jahr schlimmer.“
Um Abkürzungen und alternative Wege zu verhindern, steht Landschaftsarchitekten, Rangern und Parkverwaltern ein ganzes Arsenal an Maßnahmen zur Verfügung. Englischer-Garten-Verwalter Thomas Köster versuchte es in den 90er-Jahren damit, Pferdemist auf illegalen Wegen auszubringen. Er errichtete Zäune. Legte Baumstämme
quer über die Wege. Rammte Poller mit knöchelhohen Bandeisen in den Boden. Pflanzte Sträucher und Bäume mitten auf Pfade. Stellte Hinweisschilder auf. „Wir versuchen immer wieder Neues, aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Blockieren wir einen Trampelpfad, ignorieren die Leute das einfach, klettern über Äste, trampeln die frisch gepflanzten Sträucher nieder. Oder es bildet sich rasch ein neuer Weg, ein paar Meter daneben.“
Aber sind Trampelpfade wirklich Zeugnisse zivilen Ungehorsams? Ist, wer vom rechten Weg abkommt, ein Rebell? Können Spaziergänger Anarchisten sein? Denn, egal, ob warnen oder tarnen, ob mahnen oder blockieren. Zu guter Letzt bleiben die Maßnahmen vor allem in stark frequentierten Parks ohne bleibenden Erfolg. Planer können dagegen ankämpfen – oder sie können sich einen Schritt zurücknehmen. Deshalb gewinnt besonders bei Neuplanungen von Parks, Stadtvierteln oder Gebäudekomplexen eine zweite Denkschule an Einfluss. Sie propagiert, keine Wege mehr vorzugeben, sondern Flächen schlichtweg freizulassen. Die Planer beobachten dann, welche Trampelpfade sich entwickeln, orientieren sich daran und beziehen die Routen in ihre Wegeentwürfe ein. Eine Art Weg des geringsten Widerstands.
Soziologe Dirk Helbing gewinnt diesen Ansätzen Positives ab: „Wege sollen den Menschen dienen. Sie sind keine Disziplinierungsmaßnahmen, sondern Hilfsmittel.“Trampelpfade seien im Grunde optimierte Wege, die Fehlplanungen durch Schwarmverhalten korrigierten. „Vielleicht gibt es so viele unerwünschte Trampelpfade, weil Planer den Menschen oft vorzugeben versuchen, was sie zu tun und zu lassen haben, anstatt sich in die Psychologie der Nutzer hineinzuversetzen.“