Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Unsere Aufgabe ist auch das Aushalten“
Im Krankenhaus zeigen sich das Leid und die Einsamkeit während der Pandemie besonders deutlich. Wie Seelsorger damit umgehen.
GREVENBROICH Das Handy in der Hand halten. Manchmal ist das alles, was Pfarrer Georg Breu in diesen Zeiten noch tun kann. An manchen Tagen gibt er auf diese Weise ein Lebenszeichen. Dann startet er auf dem Gerät einen WhatsApp-Videoanruf und hält auf Wunsch die Kamera vor das Gesicht einer erkrankten Großmutter, damit sie einmal kurz winken kann für ihre Enkel, die nicht hindurch dürfen durch die Türe der Intensivstation. An anderen Tagen – und das sind die besonders schlimmen – da geht selbst das nicht mehr. Dann muss Pfarrer Breu das Handy vor sein eigenes Ohr halten. Den Angehörigen zuhören. Und ihre Worte weitergeben an den Menschen im Krankenhaus, der so schwach ist, dass die eigene Kraft nicht mehr ausreicht für ein Telefonat. Dann steht er vor dem Bett – mit Brille, Handschuhen, Haube, Kittel, FFP2-Maske. Und dem Auftrag, eine letzte Botschaft zu übermitteln.
Es hat sich einiges verändert für Pfarrer Breu und die drei weiteren Seelsorger des Grevenbroicher Elisabethkrankenhauses seit der Pandemie. Sich in den Arm nehmen. Mal die Hand eines Angehörigen halten. Das ist nicht mehr möglich. Stattdessen Telefonate auf der Covid-19-Station im Schutzanzug, unter dem man – wie Pfarrer Breu sagt – „fast anonym“werde für die Patienten, weil selbst ein aufmunternder Blick nicht mehr richtig hervorkomme hinter all dem Material im Gesicht. Aber auch die Situation der Menschen auf den anderen Stationen ist nun anders. Auf Besuche soll – wenn immer möglich – verzichtet werden. Für die Palliativzimmer und die Besuche von schwerstkranken Patienten gelten Sonderregelungen. Eine Maßnahme, die vor allem schützen soll. Die Patienten. Die Mitarbeiter. Und die Besucher selbst. Die aber natürlich gleichzeitig zur Folge hat, dass einige Menschen sich noch einsamer fühlen als ohnehin schon in ihren Zimmern.
Es sind aber auch die Routinen der Seelsorger, die nicht mehr so sind, wie sie einmal waren. Der wöchentliche Gottesdienst in der Krankenhauskapelle fällt aktuell weg. Um eine Alternative zu bieten, geht Pfarrer Breu nun jeden Freitagnachmittag unter strengen Hygieneauflagen von Bett zu Bett und fragt, ob jemand die Kommunion empfangen wolle. Das könne zwar keinen Ersatz für die Gemeinschaft bieten, die Gläubige sonst in der Kapelle erfahren könnten. Es habe aber dafür in manchen Fällen etwas Anderes zur Folge: einen Anlass, um mit Menschen in Kontakt zu treten. „Wenn ich an der Tür klopfe, dann passiert es manchmal, dass die Leute mir sagen, dass sie mit der Kirche nichts zu tun haben wollen. Oft kommt es aber dann vor, dass sich trotzdem ein Gespräch entwickelt. Weil die Leute merken, dass sie bei mir ihren Frust loswerden können. Und auch manche Sorgen, mit denen sie ihre Angehörigen vielleicht nicht belasten wollen“, sagt Pfarrer Breu.
Zu Beginn der Pandemie habe das Seelsorge-Team bestehend aus Pfarrerin Annette Gärtner, Gemeindereferentin Katharina Hamacher, Pastoralreferent Georg Menne und Pfarrer Breu genauso wie die Mitarbeiter des Krankenhauses erst einmal unter einer Art Schock gestanden. Es habe ja niemand gewusst, was einen erwarte. Wer darf auf welche Station? Könnte ein kurzes Räuspern am Abend nach der Schicht vielleicht schon ein Hinweis auf eine Infektion sein?
Auf den Fernsehbildschirmen zuhause flimmerten die Bilder aus Bergamo. Das Wort „Triage“fiel zum ersten Mal in Zusammenhang mit dem Coronavirus. Den Krankenhausseelsorgern sagte man, sie sollten sich darauf vorbereiten, im Falle eines Falles – also falls die Beatmungsgeräte knapp werden sollten – dabei zu sein, wenn in Zukunft vielleicht einmal entschieden werden müsse, was niemand entscheiden möchte: Wer noch behandelt werden kann und wer nicht. „Die Angst vor der Welle – die war immer da. Die schlimmste Zeit war aber eigentlich gar nicht im April, sondern die Wochen von Weihnachten bis Februar. Da sind uns viele Patienten unter der Hand gestorben“, sagt Pfarrer Breu. Wie geht man selbst um mit solchen Situationen?
„Unsere Aufgabe ist auch das Aushalten“, sagt Pastoralreferent Georg Menne. Er ist seit 2000 in der Krankenhausseelsorge tätig. Am Elisabethkrankenhaus hat er seit eineinhalb Jahren eine halbe Stelle und kümmert sich – neben dem Bereitschaftsdienst für alle Stationen – besonders um die Geriatrie. Wenn die Ärzte morgens über ihre Patienten sprechen, dann hört Menne genau hin und versucht herauszufiltern, wen er vielleicht mal am Krankenbett besuchen könnte. Manchmal bekommt er auch Hinweise von den Mitarbeitern des Krankenhauses. Wenn sich die Gesundheit eines Patienten zum Beispiel verschlechtere – oder sich jemand vielleicht auch einfach mal wieder länger mit einer anderen Person unterhalten wolle.
Während einige Kollegen in anderen Krankenhäusern im Umkreis zwischenzeitlich gar keine Besuche bei Patienten mehr machen durften, sei im Elisabethkrankenhaus unter Berücksichtigung der Hygienevorgaben fast alles mit Absprache möglich gewesen. Seit Ende Februar sind die Seelsorger vollständig geimpft. Damit sei auch ein Teil der Anspannung verschwunden. Pastoralreferent
Georg Breu Pfarrer
Menne hat aber noch eine weitere Aufgabe im Elisabethkrankenhaus. Er ist Mitglied im Leitungsteam des Ethik-Komitees, das sich aus Mitarbeitern unterschiedlicher Berufsgruppen zusammensetzt: Ärzte, Pflegekräfte, Seelsorger und Mitarbeiter der Verwaltung und des Sozialdienstes. Wenn Menne zu einer Beratung hinzugerufen wird, dann geht es zum Beispiel darum, ob es in einem bestimmten Fall gerechtfertigt sei, einen Patienten zu intubieren. „Wir besprechen das dann anhand von vier festgelegten Kriterien: Wohltun, Schaden vermeiden, Gerechtigkeit und Patienten-Autonomie. Und dann geben wir eine Empfehlung ab“, sagt Menne. Um mal Abstand zu bekommen von all dem, was ihm im Krankenhaus begegne, gehe er gerne spazieren oder fahre mit dem Fahrrad. Auch Gespräche mit seiner Frau seien hilfreich. Genauso wie der Austausch mit den Kollegen.
„Es ist gut, dass wir zu viert sind und man so immer mit jemandem reden kann, wenn man ins Büro kommt. Manchmal muss man aber auch gar nichts sagen. Dann verstehen wir uns einfach so“, sagt auch Katharina Hamacher. Die Gemeindereferentin arbeitet seit 1992 als Seelsorgerin im Krankenhaus. Auch die eigenen Sorgen untereinander teilen – das sei besonders jetzt wichtig. Wenn sie zum Beispiel gerade mit einem Mann telefoniert habe, der nicht zu seinem sterbenden Vater ins Krankenhaus konnte, weil er selbst sich in diesem Moment in Quarantäne befand. Wenn Eltern nach einer Fehlgeburt ein halbes Jahr auf die Beerdigung ihres Kindes warten mussten, weil das Krankenhaus die gemeinschaftlichen Bestattungen auf dem sogenannten Schmetterlingsfeld des Friedhofs Montanusstraße aufgrund der Pandemie zwischenzeitlich stoppen musste. Wenn Mitarbeiter zu ihr kommen, weil die Kräfte nach über einem Jahr mit dem Virus einfach aufgebraucht sind. Oder sie einen Menschen an seinem Sterbebett bis zu seinem Tod begleitet habe, damit er nicht allein gehen musste. Oft sitze sie dann einfach nur still daneben. „Mit Hochachtung“, sagt Hamacher. Ihr gehe dann oft eine Sache durch den Kopf: „Was diese Welt diesem Menschen wohl alles zu verdanken hat.“
„Die Leute können die Sorgen loswerden, mit denen sie Angehörige nicht belasten wollen“