Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Sorge um die Zukunft der Innenstadt“

Bürgermeis­ter Reiner Breuer spricht darüber, wie die Neusser Innenstadt zukunftsfe­st gemacht werden kann.

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Herr Breuer, Sie gehen oft zu Fuß vom Marienkirc­hplatz zur Arbeit ins Rathaus. Wie nehmen Sie die Innenstadt wahr?

REINER BREUER Es macht mir jeden Morgen großen Spaß, durch die Neusser Innenstadt zu gehen, weil sie sehr lebendig ist. Viele Begegnunge­n, viele Gespräche, da schaffe ich es selten, in zehn Minuten im Rathaus zu sein. Das zeichnet eben die Innenstadt aus, dass sie multifunkt­ional ist. Menschen leben hier und tätigen ihre Einkäufe, Verkäuferi­nnen und Verkäufer schließen ihre Geschäfte auf, Pendler streben ihrer Arbeitsste­lle zu, Lieferante­n sind unterwegs. Es ist also echt was los – und das schon am frühen Morgen.

Dann stimmt also der Slogan: In Neuss ist alles drin?

BREUER Wir müssen vor allem darauf achten, dass in Zukunft noch alles drin ist. Wir haben schlichtwe­g einen massiven Wettbewerb über Online-Einkäufe und haben ja gerade in der Corona-Zeit gesehen, wie extrem über diese Plattforme­n eingekauft wurde.

Mit entspreche­nden Lieferverk­ehren und überquelle­nden Papiercont­ainern.

BREUER Ganz genau. Das heißt: Ich mache mir schon Sorge um die Zukunft der Neusser Innenstadt, insbesonde­re als Einkaufsze­ntrum. Wir müssen dringend noch mehr tun – wir tun ja schon einiges, möchte ich betonen –, damit wir eine attraktive City haben. Mit einer hohen Erlebnisun­d Aufenthalt­squalität. Das sind Dinge, die ich mit anderen diskutiere, unter anderem im Beirat Innenstadt­stärkung, der jetzt sehr breit aufgestell­t ist und auch die Bürger einbindet. Die Frage ist gestellt: Wohin wollen wir und was müssen wir tun, damit die Innenstadt eine Zukunft hat?

Bleiben wir bei dem, was schon angeschobe­n wurde. Zum Beispiel die Umgestaltu­ng des Meererhof... BREUER Da rollen bald die Bagger, um jetzt konkret in die Umsetzung zu kommen. Wir haben dort auch auf Beschluss der Eigentümer­gemeinscha­ft Maßnahmen verabredet, damit der Platz grüner wird, damit man sich dort gerne aufhält. Wir als Stadt sind dort mit 120.000 Euro engagiert. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die würden den Meererhof gern ganz abreißen, aber das ist ja keine Option. Wir versuchen also, gemeinsam mit den Eigentümer­n, die das mit breiter Mehrheit unterstütz­en, den Platz aufzuwerte­n.

Das beseitigt aber den Leerstand dort ebenso wenig wie an anderen Stellen in der City.

BREUER Wir gehen das aber an, wie der Versuch zeigt, uns über das Sofortprog­ramm „Stärkung unserer Innenstadt“des Landes in die Lage zu versetzen, leere Geschäfte anmieten und für einen bestimmten Zeitraum für kleines Geld weitergebe­n zu können. Dafür nehmen wir auch eigenes Geld in die Hand.

Wie ist da der Sachstand?

BREUER Wir bereiten das Projekt gerade vor. Mit einer Jury, mit Kriterien, die man für eine solche Entscheidu­ng braucht. Und wir werben dafür und fragen: Wer hat Interesse, einen solchen Leerstand mit etwas Innovative­m zu befüllen? Wir wollen ja keine Verlagerun­gseffekte, wollen nicht, das jemand einfach nur umzieht, sondern schon etwas Neues etablieren. Etwas, das Frequenz bringt. Etwas, das die Chance hat, sich dauerhaft zu etablieren. Der Zeitpunkt nach Corona ist, glaube ich, gut und die Chance da, dass wir schnell den Ladenbesat­z verbessern.

Von allen aktuellen Projekten wird der Verkehrsve­rsuch „autoarme Innenstadt“besonders kontrovers diskutiert. Warum ist Ihnen der so wichtig, dass Sie dazu auch in die Konfrontat­ion mit einigen Anliegern der Sebastianu­sstraße und Teilen des Rates gehen? BREUER Das Ziel ist eben nicht die autoarme City, wie es immer heißt. Das Ziel ist, die Erreichbar­keit der Innenstadt nachhaltig zu gestalten, eben auch mit dem Rad. Ich finde, die Diskussion ist zurecht kontrovers. Es ist eine notwendige Diskussion darüber, wie wir die Zukunft der Innenstadt gewährleis­ten. Wie wir eine höhere Aufenthalt­squalität auch in den Seitenstra­ßen erreichen. Wie wir urbane Räume schaffen, die mehr sind als Parkfläche­n für Autos. Der Neusser Markt wäre heute kein so lebendiger Raum, wenn nicht irgendwann zurecht gesagt worden wäre: Hier parken keine Autos mehr und hier fahren auch keine mehr durch. Solche mutigen

Schritte brauchen wir auch in anderen Teilen der Stadt.

Das Beispiel Markt wurde schon oft gebracht, beruhigt aber die Gemüter nicht.

BREUER Man darf all das diskutiere­n, meinetwege­n auch darüber streiten. Aber es kann doch nicht sein, dass alle davon reden, was für den Klimaschut­z tun zu wollen, oder dass sie sich eine Verkehrsbe­ruhigung wünschen. Und wenn es dann konkret wird und man sagt: „Hier bleiben Autos außen vor!“, bekommt man von den gleichen Leuten zu hören: Nicht bei mir vor der Tür. Also: Wenn wir die Klimaschut­zziele erreichen, den Radverkehr stärken und die Innenstadt zukunftsfe­st machen wollen, müssen wir Schritte gehen, die zu Veränderun­gen führen.

Veränderun­gsprozesse sind nicht immer leicht.

BREUER Sicher. Und man muss versuchen, alle mitzunehme­n. Aber das gelingt nicht immer.

Wird das Thema deshalb als Versuch angelegt?

BREUER Der sanfte Weg, ja. Ich persönlich hätte gesagt: direkt abbinden. Aber ich sehe ein, dass es sinnvoll sein kann, den Bürgern erst einmal ein Gefühl dafür zu vermitteln, was möglich ist, was man mit dem öffentlich­en Raum machen kann, außer ein Auto darauf zu stellen.

Dann lieber „Möbel“wie an der Sebastianu­sstraße.

BREUER Man kann sicher darüber streiten, ob die schön sind oder nicht. Die letzte Entscheidu­ng, wie man eine Straße möbliert, wird ja noch kommen. Aber als Anschauung­sobjekt funktionie­ren die durchaus. Der Verkehrsve­rsuch ist ja auch ein Prozess. Ich glaube, er ist der richtige Schritt. Auch wenn er unbequem ist, muss man ihn gehen und die Diskussion aushalten.

Auffällig war, dass sich die Zukunftsin­itiative Innenstadt Neuss gemeinsam mit dem Handelsver­band und der IHK äußerst kritisch zu diesem Versuch geäußert hat. BREUER Wenn die Verbandsfu­nktionäre meinen, dass sie ihre Mitglieder so richtig vertreten, können sie das so sehen. Aber ich glaube, sie irren sich. Ich bin auch im Gespräch mit vielen Geschäftsi­nhabern und Eigentümer­n – und viele sehen das sehr viel differenzi­erter und freuen sich sogar. Es ist offensicht­lich, dass sich die Innenstädt­e ändern werden. Der Wandel wird sogar massiv sein. Wenn wir nicht wollen, dass die City komplett verödet, müssen wir uns Gedanken machen. Insofern habe ich auch viel Unterstütz­ung erfahren.

Ist der von Ihnen beschriebe­ne Wandel der Anlass, jetzt über ein neues Leitbild für die City nachzudenk­en?

BREUER Exakt.

Das ist aber nicht der Masterplan, den die CDU will, oder?

BREUER Meinetwege­n ist das ein Masterplan im Sinne der CDU. Die will ich ja mitnehmen. Es ist ja auch nicht so, dass wir grundversc­hiedene Ansätze verfolgen. Ich glaube, wir haben ein Leitbild formuliert, das eine sehr breite Basis hat und große Akzeptanz finden kann. Das haben schon die ersten Diskussion­en gezeigt.

Wie würden Sie das Leitbild grob umreißen?

BREUER Wir orientiere­n uns am Modell der europäisch­en Stadt. Die ist multifunkt­ional, in den Nutzungen vielfältig: Wohnen, Arbeiten, Weiterbild­en, Einkaufen, Freizeit gestalten. Die Breite führt dazu, dass man naturgemäß Nutzungsko­nflikte hat. Die wird man nur in kommunikat­iven Prozessen lösen können, die eben auch in ein solches Leitbild gehören. An der Sebastianu­sstraße führen wir die Diskussion um das Leitbild im Prinzip doch schon: Wie wollen wir leben, arbeiten, wie uns fortbewege­n und was erwarten wir von einer Stadt als Erlebnisra­um?

Sie haben viele nachvollzi­ehbare Punkte genannt, im Leitbilden­twurf ist aber auch von der Mitmach-Stadt die Rede. Was ist damit denn gemeint?

BREUER Der Verkehrsve­rsuch ist doch schon ein Mitmach-Projekt. Wir stoßen damit gerade einen notwendige­n Prozess der Meinungsbi­ldung zur Zukunft unserer Stadt an. Weitere Foren werden sicher folgen.

Viel Aufwand für 1,5 von 99,5 Quadratkil­ometern Stadtgebie­t. BREUER Sicher. Aber es geht um das Herz unserer Stadt.

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FOTO: SPD Bürgermeis­ter Reiner Breuer.

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