Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Unsere kleine Stadt
Zwei Polizisten aus Rocky Mount waren am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar beteiligt. Ein halbes Jahr später ist der Ort in Virginia noch immer gespalten. Eine junge Afroamerikanerin kandidiert nun für einen Sitz im Bundesstaatenparlament.
zog als Scharfschütze in den Krieg im Irak, Fracker war in Afghanistan im Einsatz. Auch das sichert ihnen Sympathien.
„Mein Präsident heißt Donald Trump. Er hat die Wahl nicht verloren, er wurde durch das größte Betrugsmanöver der Geschichte um seinen Sieg gebracht.“Donald Taylor, Spitzname Whitey, mag die Zuspitzung, den lauten Ton. Mit wie Taylor freimütig zugibt. „Trump 2024 – Save America Again“, „Biden Is Not My President“, „Never Biden“, das sind die Parolen, zu denen sich andere, schroffere, nicht zitierfähige gesellen. Vor Jahren erwarb Taylor eine Autorennbahn, deren Attraktion Karambolage-Derbys sind, bei denen schrottreife Kisten zur Gaudi des Publikums endgültig zu Schrott gefahren werden. Auf den TrumpZug
ist er 2015 aufgesprungen. Da bestellte er, anfangs zweifelnd, 2000 T-Shirts mit Sprüchen des Milliardärs und stellte verblüfft fest, dass er innerhalb kürzester Zeit Nachschub brauchte. Auch Taylor war am 6. Januar 2021 in Washington, schließlich versprach der Tag angesichts Tausender versammelter Gefolgsleute Trumps gute Geschäfte.
Fracker und Robertson und all die anderen, behauptet er, seien im Kapitol in eine Falle getappt. Linke Randalierer hätten Fenster eingeschlagen und Türen aufgebrochen. Erst dann seien die „Patrioten“, eher aus Neugier, hineingegangen, was natürlich eine Dummheit gewesen sei. Legendenbildung in Rocky Mount. Ganz ruhig, ohne die Stimme zu heben, malt Taylor ein düsteres Szenario aus. „Gut gegen Böse, darum geht es in Amerika. Wie das entschieden wird? Durch einen Bürgerkrieg.“Und es seien die Guten, „unsere Leute“, die über Waffen und Munition verfügten.
Henry Turnage wartet an einem Denkmal, um das er vor zwölf Monaten an sieben Tagen hintereinander im Kreis gelaufen ist. Die Botschaft, die er schon damals verkündete, hat er in weißen und roten Lettern auf einem T-Shirt verewigt: „Entfernt die Statue – oder entfernt das Gerichtsgebäude!“Die Statue, ein Südstaatensoldat mit Gewehr in der Hand, thront auf einem Sockel, auf dem Kompanien aufgelistet sind, die 1861 aus der Gegend um Rocky Mount in den Krieg gegen den Norden zogen, gegen Abraham Lincoln, den späteren Sklavenbefreier. Das Courthouse wurde 1909 errichtet, das Monument davor ein Jahr später.
Was Turnage daran stört, ist die Tatsache, dass beide eine Einheit bilden. Würde man den Steinsoldaten in ein Museum verfrachten, könnte er damit leben. Das Ensemble aber, sagt er, gebe ihm das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein. Diskriminiert durch die Gerichtsbarkeit. „Früher waren wir Sklaven, heute sind wir Kriminelle“, bringt es der 41-jährige Afroamerikaner auf einen bitteren Satz. „Das weiße Amerika“, sagt er und meint die Netzwerke der Good Old Boys, „das weiße Amerika bringt es einfach nicht fertig, mich als Juristen in diesem Haus zu sehen. Es sieht mich immer nur auf der Anklagebank.“
Henrys Frau Karshanda war bis vor Kurzem Psychologin beim Militär, mit der Armee sind sie herumgekommen, sie haben in Deutschland gelebt, auch in Japan. Er könne nicht akzeptieren, dass für seinen achtjährigen Sohn Xavier im Kleinstadt-Amerika à la Rocky Mount alles beim Alten bleibe, sagt Turnage. Dass auch Xavier, wenn er größer sei, automatisch als Bedrohung angesehen werde, nicht als potenzieller Richter in dunkler Robe. Genau dafür, für den Dünkel von gestern, stehe der Konföderierte vor dem Sitz der Justiz. Und deshalb müsse er weichen. Ein Referendum, das Turnage mit seinem Protest erzwang, endete damit, dass 69 Prozent der Bewohner gegen die Demontage des Denkmals stimmten. „Die Angst vor dem Wandel“, sagt Henry Turnage. Das weiße Amerika habe erlebt, wie Barack Obama als erster schwarzer Präsident im Weißen Haus einzog, und seither habe die Angst vor dem eigenen Machtverlust hysterische Züge angenommen. „Von dort, glaube ich, führt eine ziemlich gerade Linie zum Angriff auf das Kapitol.“