Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Covestro will jede achte Stelle streichen
Trotz einer bis 2028 geltenden Standortvereinbarung will das Unternehmen bis 2023 weltweit geschätzt rund 1700 Stellen abbauen, davon fast 1000 in Deutschland. In Dormagen könnten bis zu 500 Jobs wegfallen.
DORMAGEN Die Hiobsbotschaft kam wie aus heiterem Himmel. Erst über ihren Gesamtbetriebsrat erfuhren die Mitarbeiter an den Covestro-Standorten in Dormagen, Leverkusen, Krefeld und Brunsbüttel am Montag davon, dass der börsennotierte Werkstoffhersteller einen massiven Stellenabbau bis Ende 2023 plant. Wie unsere Redaktion aus Reihen der Belegschaft mitgeteilt wurde, sei das Entsetzen groß gewesen, zumal die Nachricht die Mitarbeiter überraschend traf. „Wir befinden uns in einer regelrechten Schockstarre“, berichtete ein Beschäftigter. Der Aufschrei sei groß gewesen, viele Kollegen hätten nun Angst um ihren Arbeitsplatz.
Allgemeines Unverständnis habe geherrscht, der Schritt der Führungsetage sei für die Belegschaft nicht nachvollziehbar. „Bei Covestro gibt es keine finanzielle Not. Im Gegenteil: Das Unternehmen verdient sich dumm und dämlich“, hieß es. Eine andere Äußerung lautete: „Der Vorstand hat das Vertrauen seiner Mitarbeiter völlig verloren, dabei wurden letztens noch neue Erfolgsmeldungen verkündet.“Spekuliert wurde, ob Vorstand und Geschäftsführung Empfehlungen externer Berater gefolgt seien. Offenbar hat die Unternehmensberatung McKinsey zuletzt bei Covestro nach Einsparpotentialen gesucht und Abteilungen und Abläufe durchleuchtet.
Der Gesamtbetriebsrat berichtete in einem Informationspapier für die Belegschaft, das unserer Redaktion vorliegt, am 26. August im Rahmen einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom Vorstand über die Pläne informiert worden zu sein. Diese hätten die Arbeitnehmervertretung „in Alarmbereitschaft“versetzt. Auch der Gesamtbetriebsrat äußerte Unverständnis für das Vorgehen
und verband dies mit Kritik an McKinsey. Die Beraterfirma stehe in dem Ruf, ihre Empfehlungen ausschließlich zugunsten der Anteilseigner abzugeben und Produktionssteigerungen auf Kosten der Mitarbeiter, in der Regel durch Arbeitsplatzabbau, anzuraten. Auch stereotypische Beratung wirft der Gesamtbetriebsrat McKinsey vor.
Der geplante Arbeitsplatzabbau könnte im Zusammenhang mit dem von Covestro weltweit aufgelegten Transormationsprogramm „LEAP“in Zusammenhang stehen. Bei „LEAP“geht es darum, Strukturen, Prozesse und Steuerungsmechanismen neu zu gestalten; Covestro verspricht sich nach eigener Darstellung davon, sich „bestmöglich aufzustellen“. Um dies umzusetzen, werde eine Neustrukturierung der Aufbau- und Ablauforganisation sowie der Verantwortlichkeiten angestrebt. „Unter anderem wollen wir unser Geschäft nach Standardprodukten auf der einen und Spezialprodukten auf der anderen Seite strukturieren. Ferner zielt das Programm auf die unternehmensübergreifende Bündelung von bestimmten Kompetenzbereichen“, heißt es im Covestro Geschäftsbericht 2020. Dabei gehe es primär um die Weiterentwicklung des Geschäftes, vor allem mit Blick auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Die Implementierung der Maßnahmen des Transformationsprogramms solle bis Ende 2023 abgeschlossen sein.
In einer Stellungnahme auf Anfrage unserer Redaktion teilte Covestro mit, bei den 1700 Stellen handele es sich um einen „Schätzwert“. „Wir nutzen unsere aktuelle Transformation, um Covestro fit für die
Zukunft zu machen. Hierbei markiert die neue Konzernstruktur seit dem 1. Juli 2021 einen ersten Meilenstein. Im nächsten Schritt werden wir bis Ende 2023 weitere Optimierungen vornehmen“, erklärte Covestro-Sprecher Jochen Klüner. Derzeit prüfe man bei allen Aktivitäten
weltweit, ob sie zur Strategie und Vision des Unternehmens passten und inwiefern sie zu einem nachhaltigen Wachstum beitragen. In diesem Zusammenhang werde es auch zu personellen Anpassungen kommen.
Die genaue Ausgestaltung werde in den kommenden Monaten sorgfältig validiert. Zahlen zum Stellenabbau an den jeweiligen CovestroStandorten nannte Klüner nicht. Ziel sei es, „die Transformation an allen Standorten weltweit gemeinsam sozialverträglich zu gestalten“. Daher sei es Covestro wichtig, die Validierung und Detailarbeit im engen Austausch mit den Arbeitnehmervertretungen durchzuführen. Klüner: „Unsere Mitarbeitende sind eng in den gesamten Transformationsprozess eingebunden und somit auch über diese nächsten Schritte im Transformationsprozess informiert.“