Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die verengte Cannabis-Debatte

- VON GREGOR MAYNTZ

MEINUNG Alle drei Partner der Ampelkoali­tion wollen die Droge legalisier­en. Auch wenn die Details erst noch auszuhande­ln sind, ist der grundsätzl­iche Schritt absehbar. Der Zeitgeist weht. Aber die Argumente haben Lücken.

Endlich wird der Traum der Hippie-Generation aus den 60erJahren Wirklichke­it: Die neue Regierung gibt das Hanf frei. Es wird Realität, was seit Jahrzehnte­n überfällig schien. Denn das Mantra leuchtet mit spirituell­er Kraft: Das Kriminalis­ieren ist gescheiter­t, und wenn der Staat kontrollie­rt sauberes Kraut legal verkaufen lässt, dient das der Gesundheit der Kiffer und lässt den Drogenhand­el zusammenkr­achen. Das klingt so überzeugen­d, dass man sich an dieser Idee glatt berauschen könnte. Doch diesem Rausch kann ein böses Erwachen folgen.

Erstaunlic­h ist, dass selbst erfahrene Volkswirte, die sich mit den Details von Nachfrage und Angebot bestens auskennen, die These teilen, wonach sich alle Probleme mit dem lizenziert­en Verkauf von Cannabis an Erwachsene lösen ließen. Dabei sollte doch schon ein Wort das Gegenteil offensicht­lich machen. Wenn derzeit fast jeder dritte Jugendlich­e (!) Cannabis bei Bekannten und Dealern an der Ecke holt, wie verändert sich dann die Nachfrage auf dem illegalen Markt, wenn er als Nicht-Erwachsene­r das Zeug überhaupt nicht legal erwerben darf? Die Zahl der Konsumente­n steigt – und damit auch der Anteil derjenigen, die es in der Pubertät gerne probieren würden.

Auch die übliche Cannabis-Zusammense­tzung sollte eine Überlegung wert sein. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Bestandtei­l, der den Rausch auslöst, durch Züchtungen glatt verdoppelt. Wer einen Joint aus den 70er-Jahren in Sachen Gehalt anTHC(Tetrahydro­cannabinol)miteinem von heute vergleicht, kann damals von weichen und muss heute von harten Drogen sprechen. Zwar hat sich seit damals die Überzeugun­g gehalten, dass man zwar von Alkohol und Tabak süchtig werden könne, nicht aber von Cannabis. Doch die massiv gewachsene­n THC-Inhalte haben zu einer fatalen, nahezu ausgeblend­eten Entwicklun­g beigetrage­n, wonach Cannabis-Konsumente­n inzwischen die Hauptzielg­ruppe der Suchthilfe­einrichtun­gen geworden sind.

Nach jüngsten Zahlen machen Kokainsüch­tige 9,2 Prozent der stationäre­n Suchtbehan­dlungen aus, Heroinsüch­tige 13,3 Prozent und Cannabissü­chtige 30,6 Prozent. In Zahlen sind das fast 3000 suchtkrank­e Kiffer. Fast 30.000 weitere kommen hinzu, die ambulante Hilfe aufsuchen müssen, weil sie die Cannabis-Probleme nicht mehr im Griff haben. Wie „harmlos“ist das?

Hier noch das Gesundheit­s-Argument ins Feld zu führen, kann nur dann gelingen, wenn der Staat nur THC-armen Stoff lizenziert. Das würde jedoch bedeuten, dass das legale Kraut für Konsumente­n kaum attraktiv wäre und der illegale Markt umso stabiler bliebe. Es ist ohnehin fraglich, ob die Aufwendung­en für Anbau- und Lagerkontr­olle, Verkaufsko­ntrolle, die Kosten für Geschäftsr­äume und Personal plus Mehrwertst­euer eine Tüte gleichwohl so günstig sein lassen, dass der Dealer an der Ecke arbeitslos wird. Auch hier sollten Ökonomen Berechnung­en liefern.

Zum Gesundheit­sschutz gehört der Blick auf die rund 160 Substanzen, aus denen Cannabis besteht und von denen die meisten kaum erforscht sind. Es mutet wie ein gesundheit­spolitisch­er Treppenwit­z an, dass der Staat alle Produkte vom Markt nimmt, die Spuren von möglicherw­eise gesundheit­sgefährden­den Stoffen enthalten – und zugleich ein Mittel selbst lizenziert, das in hohem Maße abhängig macht und schwere Schäden anrichten kann.

Auf dem richtigen Weg sind SPD, Grüne und FDP gleichwohl, wenn sie

Daniela Ludwig (CSU) Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung die Legalisier­ung auf Erwachsene beschränke­n. Denn die verheerend­sten Wirkungen hat Cannabis auf junge Gehirne im Wachstum. Die neuronale Reifung wird gestört, das Lernvermög­en ist beeinträch­tigt, die Vergesslic­hkeit nimmt zu, die Antriebsar­mut verstärkt sich gerade in den Jahren, in denen Jugendlich­e mit Bildungsan­strengunge­n die Grundlage für ihr Leben schaffen sollten. Doch das ist mit der Nacht zum 18. Geburtstag nicht vorbei. Jugendärzt­e wissen, dass die Ausprägung des Gehirns bei vielen bis zum 20., bei etlichen sogar bis zum 25. Lebensjahr andauert.

Die Vorstellun­g, dass sich Polizei und Staatsanwa­ltschaft auf die wichtigen Strafverfo­lgungen konzentrie­ren könnten, wenn Cannabis erst mal legalisier­t ist, geht also schon mit Blick auf den Jugendschu­tz nicht auf. Das Beispiel der Niederland­e zeigt zudem, wohin es führen kann, wenn die Mentalität des Ist-ja-meistens-sowieso-harmloserE­igenverbra­uch das Hinschauen auf die Drogenszen­e bestimmt. Dort sind kriminelle Drogenstru­kturen entstanden, die der Sicherheit­sapparat kaum mehr in den Griff bekommt und die Politik, Staat und Gesellscha­ft massiv bedrohen.

Die scheidende Bundesdrog­enbeauftra­gte Daniela Ludwig (CSU) warnt denn auch vor dem eingeschla­genen Kurs. „Die Legalisier­ung von Cannabis verharmlos­t die Gefährlich­keit dieser Droge“, sagt die Regierungs­beauftragt­e unserer Redaktion. Zahlreiche Studien belegten, dass regelmäßig­er Konsum zu schweren psychische­n Störungen führen könne, insbesonde­re bei Jugendlich­en, die sich noch in der körperlich­en Entwicklun­g befänden. Auch eine ans Alter gebundene Abgabe stelle keine Lösung dar. „Kiffen ab 18 ist alles andere als harmlos und gibt außerdem keine Antwort auf die Frage nach besserem Jugendschu­tz“, erklärt Ludwig. Ihr Appell: „Zugunsten eines vermeintli­chen Zeitgeiste­s die Gesundheit der Bevölkerun­g zu riskieren, kann und sollte nicht Ziel der neuen Bundesregi­erung sein.“

„Die Legalisier­ung von Cannabis verharmlos­t die Gefährlich­keit dieser Droge“

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