Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Der FDP auf die Finger schauen“
Franziska Brandmann aus Wevelinghoven kandidiert für den Bundesvorsitz der Jungen Liberalen – mit guten Chancen. Wenn die FDP mitregiert, dürfte der 27-Jährigen eine bedeutende Rolle zufallen. Parteichef Christian Lindner kennt sie schon.
WEVELINGHOVEN Eigentlich hatte sich Franziska Brandmann 2019 aus dem Bundesvorstand der Jungen Liberalen verabschiedet. Doch ganz aus dem Verband ausgeklinkt hat sie sich nie: Zurzeit ist sie als Ombudsfrau eine Vertrauensperson für alle Mitglieder. Und als sie vor wenigen Monaten gefragt wurde, hat sie „Ja“gesagt: Die 27-Jährige will zurückkehren in die Chefriege, diesmal als Bundesvorsitzende.
Die Wevelinghovenerin stellt sich den 200 Delegierten beim Bundeskongress der Jungen Liberalen am 13. November in Erlangen zur Wahl. Ihre Chancen stehen gut, Nachfolgerin von Jens Teutrine zu werden, der mit dem Einzug in den Bundestag nicht mehr antreten will. „Zurzeit bin ich die einzige Kandidatin“, sagt Brandmann. Vor zwei Wochen ist sie beim Landeskongress in NRW einstimmig für den Bundesvorsitz nominiert worden; Rückhalt erfährt sie auch in anderen Bundesländern.
Bei den Jungen Liberalen und in der FDP ist die Doktorandin keine Unbekannte: Mit 15 Jahren startete sie bei den „Julis“in Grevenbroich, engagierte sich später auf Landesebene in Arbeitskreisen etwa im Bereich der Bildungspolitik. Später bekleidete sie Ämter im Bundesvorstand: Zunächst war sie Beisitzerin, danach als „International Officer“zuständig für die außenpolitische Arbeit in der Jugendorganisation. Und auch mit FDP-Chef Christian Lindner hatte sie schon Kontakt: Brandmann war während ihres Studiums für ihn tätig.
Nun soll es hoch hinaus gehen: Als Bundesvorsitzende würde der Wevelinghovenerin eine bedeutende Rolle zufallen – in einer Zeit, in der es für die Liberalen spannend wird. Denn in den Koalitionsverhandlungen fällt der FDP eine Schlüsselrolle zu. Ohne sie geht es nicht. Und im Hintergrund geht es nicht ohne die Jungen Liberalen. „Ohne die ,Julis' wäre das gute Jung- und ErstwählerErgebnis der FDP bei dieser Bundestagswahl so nicht zustande gekommen“, sagt Brandmann. „Ich glaube, dass viele dieser Wähler Politik aktiv mitgestalten wollen.“Viele könnten sich für liberale Politik begeistern – dafür spreche auch der Boom bei den Mitgliedern, den die „Julis“zurzeit verzeichneten: Laut Brandmann
zählt die Jugendorganisation bundesweit mehr als 13.000 Mitglieder. „Rekord“, sagt sie: „Und da ist noch mehr drin.“
Wird Franziska Brandmann neue Bundesvorsitzende, möchte sie weitere Mitglieder gewinnen. Ihr Ziel ist es, auch die Debattenkultur zu stärken. „Es geht darum, die FDP voranzutreiben. Wir wollen das liberale Gewissen der Partei sein, so etwas wie ein junger Kompass, der die FDP weiterleitet. Wir wollen ihr auf die Finger schauen, sie kritisch und konstruktiv begleiten.“Und inhaltlich? Brandmann nennt drei Themen,
die ihr besonders am Herzen liegen.
Thema 1: Bildung. „Bildung in Deutschland sollte weniger vom Faktor Glück abhängen. Jeder Schüler, jeder Student, jeder Auszubildende sollte darin unterstützt werden, seinen eigenen Weg zu gehen.“Brandmann nennt das Stichwort Chancen-Gerechtigkeit. Für sie zudem eine „Prinzipiensache“: das elternunabhängige Bafög.
Thema 2: Marktwirtschaft und Wettbewerb. „Es muss einen Wettbewerb geben, in dem freie, mündige Bürger selbst Entscheidungen treffen können“, sagt Brandmann. Einzelne dürften sich nicht über die Gesellschaft stellen. Der Wevelinghovenerin ist das ein besonderes Anliegen: Sie weiß um die Erfahrungen, die ihre Mutter zu DDR-Zeiten machen musste. Nachdem sie ihren späteren Mann (Franziska Brandmanns Vater) kennengelernt hatte und ihn heiraten wollte, musste sie bis zu ihrer Ausreise die Schikanen des SED-Regimes ertragen.
Thema 3: Reformen. Die Wevelinghovenerin glaubt, dass sich die Große Koalition nicht am Puls der Zeit orientiert hat. „Hier muss die FDP einen Reformimpuls geben“, sagt sie und nennt zwei Beispiele: Homosexuelle sollten Blut spenden dürfen. Und Erwachsene sollten beim Thema Sterbehilfe selbst für sich entscheiden können.
Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen hält sie das kürzlich vorgelegte Sondierungspapier „für einen guten, ersten Start“. „Keine Steuererhöhungen, kein Tempolimit, elternunabhängigeres Bafög – das sind gute Impulse. Aber da gibt es noch Spielraum“, sagt Brandmann. „Zum Beispiel bei der konkreten Bedeutung des elternunabhängigeren Bafögs.“Brandmann gibt zu: Sie selbst hatte in Sachen Bildung großes Glück. Mehrere Stipendien haben ihr geholfen, sich weiterzubilden und fürs Leben zu lernen.
Zurzeit hält sich die 27-Jährige in Oxford (Südengland) auf, wo sie im Bereich Politik zum Thema Verfassungsschutz promoviert. Davor hatte sie ihren Bachelor in Politikwissenschaften und ihren Master in europäischer Politik gemacht. Wiederum davor hatte sie ihr Abitur am Grevenbroicher Erasmus-Gymnasium
gemacht – mit einem Schwerpunkt auf Sprachen. An der Schule hatte sie sich unter anderem als Schülersprecherin gegen ein Wasser-Trinkverbot im Unterricht oder für eine Verbesserung bei den sanitären Anlagen eingesetzt.
Als Oberstufenschülerin hat Franziska Brandmann ein Jahr in Mexiko verbracht. „Das war ein Stipendium des Rotary Clubs; für mich eine der tollsten Erfahrungen meines Lebens. Es war anspruchsvoll, weil ich keine Spanisch-Kenntnisse hatte. Die Neugierde hat mich getrieben“, sagt sie. In Mexiko habe sie zudem Dinge gesehen, die sie so aus Deutschland nicht kannte. Dazu zählen Armut oder große Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Schulen.
Brandmann möchte künftig als Bundesvorsitzende der „Julis“streiten und sich mit ihren Kollegen Gehör bei der FDP verschaffen, was „junge“Themen angeht. Schon beim Bundestagswahlprogramm habe man sich durchgesetzt, Mehrheiten etwa für eine Legalisierung von Cannabis errungen. „Hier und da könnte die FDP noch konsequenter liberal sein“, meint Brandmann. Potenzial sieht sie beim öffentlichrechtlichen Rundfunk, der aus ihrer Sicht bei angepassten Gebühren stärker auf Bildung, Kultur und Politik zugeschnitten sein sollte. In einer Krawallrolle wie der, der den Jungsozialisten oft zugesprochen wird, sehen sich die „Julis“laut Brandmann nicht. „Wir machen vielleicht nicht immer so lautstark Krawall wie die ,Jusos', aber wir sind mindestens genauso durchsetzungsfähig.“