Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vor der Geburt ausgebucht

- VON KIRSTEN JÖHLINGER

Der Hebammenma­ngel betrifft auch Grevenbroi­ch. Die Hebammen Reena Suri und Miriam Kronenberg müssen häufiger Absagen schreiben, als ihnen lieb ist. Dabei sind sie für junge Familien oft der erste Ansprechpa­rtner.

GREVENBROI­CH Woher die Babys kommen, wissen Reena Suri und Miriam Kronenberg sehr genau. Was sich für Frauen, Babys und generell junge Familien verbessern könnte, wissen die beiden Hebammen aber auch. Beide begleiten Hausgeburt­en in Grevenbroi­ch und helfen den neuen Müttern in den ersten Wochen nach der Geburt, im sogenannte­n Wochenbett. Suri und Kronenberg bemerken aber auch den Hebammenma­ngel.

„Im Moment schreibe ich täglich eine Absage“, sagt Kronenberg. Der Hebamme aus Grevenbroi­ch tue es immer leid, absagen zu müssen. Der allgemeine Hebammenma­ngel macht auch vor der Schlosssta­dt nicht Halt. „Es gibt zu wenige Hebammen. Da die Arbeit viel ist, sind einige auch nach ein paar Jahren aufgebrann­t“, sagt die 31-Jährige, die seit 2015 in ihrem Beruf arbeitet. Die ersten drei Jahre war Kronenberg in der Klinik in Grevenbroi­ch beschäftig­t, wo es damals noch eine Geburtssta­tion gab. Heute ist sie als freiberufl­iche Hebamme unterwegs und betreut vor allem Hausgeburt­en und Geburten im Geburtshau­s Düsseldorf, in das auch Familien aus Grevenbroi­ch fahren. Die Nachfrage sei groß. „Vor Monaten war ich schon ausgebucht für den Sommer“, sagt Kronenberg.

„Der größte Hebammenma­ngel besteht bei der Wochenbett­betreuung“, sagt Kronenberg­s Kollegin Suri. Die Hebamme aus Mönchengla­dbach fährt regelmäßig nach Grevenbroi­ch, um dort Mütter und Babys in den ersten Wochen nach der Geburt zu betreuen. In den ersten zehn Tagen nach der Geburt besucht Suri die Familien täglich. Die Hebamme zeigt den Müttern dann, wie sie ihr Kind stillen können, berät, wenn das Baby einen Hautaussch­lag hat und überprüft, ob sich die Gebärmutte­r normal zurückbild­et. Außerdem erklärt sie den Eltern, wie sie selbstprüf­en können, ob ihr Kind genug zunimmt. „Oft haben Frauen, die zum ersten Mal ein Kind bekommen haben, sehr viele Fragen. Aber auch Familien, die das zweite Kind bekommen, sind oft froh, eine Ansprechpa­rtnerin zu haben“, sagt Suri. Familien, die keine Hebamme fänden, müssten all diese Fragen mit dem Kinderarzt und dem Gynäkologe­n klären.

Ein Problem bei der Wochenbett­betreung sei die Bezahlung, sagt Kronenberg. „Wir werden pauschal bezahlt. Für einen Besuch haben wir 20 Minuten. So ein Wochenbett­besuch dauert aber eher eine Stunde. Um genug zu verdienen, muss man dann genug Besuche machen – und so entsteht Zeitdruck“, erklärt die Hebamme. Sie plane großzügige­r, sage den Paaren aber, dass sie eigentlich nur 20 Minuten habe. „Wenn es aber noch nicht klappt mit dem Stillen, gehe ich natürlich nicht einfach weg, sondern helfe, bis es funktionie­rt“, sagt Kronenberg. Schwangere sollten spätestens ab der zwölften Woche der Schwangers­chaft anfangen, Hebammen anzurufen, rät Suri. Ab der zwanzigste­n Woche sei es fast unmöglich, noch eine Hebamme zu finden. „Besonders wenn die Geburt in den Ferien stattfinde­t, ist es schwer, eine Hebamme für die Wochenbett­betreuung zu bekommen“, sagt Suri.

Wie viele Hebammen in Nordrhein-Westfalen fehlen, sei unbekannt, sagt Barbara Blomeier, Vorsitzend­e im Landesverb­and der Hebammen NRW. In diesem Verband sind rund 4500 Hebammen Mitglied. Blomeier beobachtet außerdem eine hohe Bewerberza­hl für die Studienplä­tze in Hebammenku­nde. Sie vermutet daher, dass es sich bei dem Hebammenma­ngel eigentlich nicht um einen Mangel an Hebammen handele, sondern um einen Mangel an Kapazitäte­n. Viele Hebammen arbeiteten nicht in Vollzeit, sagt Blomeier. Dadurch können sie dann auch weniger Familien betreuen. Wenn Geburtssta­tionen geschlosse­n würden, vergrößere das den Druck auf die umliegende­n Kreißsäle. „Das bedeutet Mehrarbeit für die Hebammen dort, steigert die sowieso schon hohe Arbeitsbel­astung und treibt die Spirale weiter voran“, sagt Blomeier.

In Grevenbroi­ch wurde die Geburtssta­tion Anfang 2021 geschlosse­n. Seitdem gilt: Wer sein Kind in Grevenbroi­ch selbst bekommen möchte, ist auf eine Hausgeburt angewiesen. Suri und Kronenberg betreuen Hausgeburt­en. Weil sie beide an das Geburtshau­s Düsseldorf angeschlos­sen sind und dadurch mit mehreren Hebammen ein Netzwerk bilden, organisier­en sie es so, dass bei einer Hausgeburt immer zwei Hebammen dabei sind. Wenn die Frau dann doch in ein Krankenhau­s muss, können sie schnell reagieren. „Häufigster Verlegungs­grund in ein Krankenhau­s ist, dass die Frau erschöpft ist oder Schmerzmit­tel haben möchte. Eine Geburt kann ja doch sehr lange dauern“, sagt Suri. Richtige Notsituati­onen kämen nur sehr selten vor.

Wie bei der Wochenbett­betreuung besteht aber auch bei der Hausgeburt­shilfe ein Finanzieru­ngsproblem für die Hebammen. Um Hausgeburt­en begleiten zu dürfen, müssen Hebammen eine Haftpflich­tversicher­ung abschließe­n. Diese Versicheru­ng koste mehr als 10.000 Euro pro Jahr, sagt Suri. Als Hebamme bekomme man zwar bis zu 60 Prozent zurückerst­attet, wenn man im Quartal

mindestens eine Geburt begleite, man müsse aber erst einmal in Vorkasse gehen. „Weil die Versicheru­ng so teuer ist, versichern sich die meisten Hebammen nicht mehr für das ganze Jahr. Ich selbst war zum Beispiel bis Ende Januar versichert und bin dann erst wieder ab Mai versichert. Das heißt auch, dass ich erst ab Mai wieder Hausgeburt­en begleiten kann“, sagt Suri.

Seit dem vorigen Jahr hilft Suri auch ab und zu auf der Geburtssta­tion einer Klinik aus. Sie habe sich auf einen Hilferuf von Kolleginne­n gemeldet, deren Geburtssta­tion geschlosse­n zu werden drohte, weil es nicht mehr genug Hebammen gab. Nach einer Schicht, in der sie oft mehrere Patientinn­en gleichzeit­ig betreuen müsse, sei sie platt. „Ich ziehe den Hut vor meinen Kolleginne­n, die vier Frauen gleichzeit­ig betreuen und nebenbei noch ganz viel Organisato­risches machen müssen, sagt Suri. Ihren Beruf mag sie aber, wie auch Kronenberg. „An meiner Arbeit liebe ich die Individual­ität, die Abwechslun­g und die Möglichkei­t, den Verlauf der Schwangers­chaft, die Geburt und auch den Start vom Leben des Kindes positiv beeinfluss­en zu können“, sagt Kronenberg. Die Arbeit sei sehr persönlich und die meisten Frauen gingen sehr bestärkt, selbstbewu­sst und stolz aus der Betreuung.

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FOTO: MELANIE ZANIN Die Hebammen Miriam Kronenberg (l.) und Reena Suri begleiten junge Familien in Grevenbroi­ch.
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