Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Andere Symptome, andere Reaktionen auf Medikamente: Die bestmögliche Medizin für Frauen und Männer im Eli
Die unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen von Frauen und Männern haben mehr Folgen, als Mediziner lange erkannt haben: Frauen mit Herzinfarkt etwa haben andere Symptome als Männer. Diese wiederum nehmen Schmerzen bei Darmerkrankungen oft zu spät wahr. Gendermedizin gewinnt in Forschung und Praxis immer mehr an Bedeutung. In den Städtischen Kliniken Mönchengladbach spielt sie bei der Diagnose und der Behandlung von Patientinnen und Patienten längst eine zentrale Rolle.
Was in Gendermedizin unerfahrene Ärzt:innen bei Frauen für Bauchschmerzen halten könnten, macht das Team von PD Dr. Mirja Neizel-Wittke sofort aufmerksamer. Denn genau wie Kurzatmigkeit, Übelkeit und Erbrechen können auch Beschwerden im Oberbauch bei Frauen auf einen Herzinfarkt hindeuten. Deshalb werden Herzinfarkte bei Frauen zu oft später erkannt. Die Chefärztin der Klinik für Kardiologie und Angiologie im Eli weiß um die Besonderheiten von Frauen- und Männerherzen. Ihre Kollegen für das Thema zu sensibilisieren, ist ihr ein wichtiges Anliegen. „Wir arbeiten interdisziplinär für die Gesundheit unserer Patienten und sind Mitinitiatoren des Netzwerks Frauenherz. Die genderspezifische Verzahnung von ambulanter, stationärer und rehabilitativer Behandlung ist uns ein besonderes Anliegen“, sagt sie. Durch regelmäßige Fortbildungen fördert das „Netzwerk Frauenherz“das Bewusstsein für geschlechterspezifische Aspekte der Kardiologie.
Auch Prof. Huan Nguyen, Chefarzt der Medizinischen Klinik, hat regelmäßig mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen und Symptomen bei
Frauen und Männern zu tun. „Bei Erkrankungen im MagenDarm-Trakt haben Männer ein herabgesetztes Schmerzempfinden. Das führt dazu, dass sie vergleichsweise spät zum Arzt gehen und häufiger an Darmkrebs erkranken“, sagt der Chefarzt. Für die Mediziner im Eli bedeute dies, dass sie schon bei der Diagnose die unterschiedlichen Reaktionen der Geschlechter berücksichtigen. „Wir kennen diese Besonderheiten und fragen gezielt nach, um die richtige Diagnose zu stellen“, so Prof. Nguyen. Sein Kollege Dr. Johannes Kaenders, Chefarzt der Gefäßchirurgie, kennt die Bedeutung des Themas aus seinem Bereich nur zu gut. „Bei Frauen ist die Diagnose bei Gefäßerkrankungen schwieriger und die Prognose oft schlechter“, sagt er. Bei Frauen mit Diabetes etwa verursachten Gefäßerkrankungen größere Schäden.
Thorsten Celary, Geschäftsführer der Städtischen Kliniken, sagt: „Wir legen auf eine bestmögliche Aus- und Weiterbildung unserer Ärzte und
Pflegekräfte ganz besonderen Wert. Die Erkenntnisse der noch jungen Disziplin der Gendermedizin sind für uns in diesem Zusammenhang immer wichtiger.“
Dabei sind diese Erkenntnisse in den vergangenen Jahren rapide gewachsen. Zu beobachten war dies nicht zuletzt während der Covid-Pandemie. Männer sind im Schnitt schwerer an Covid erkrankt, wie Prof. Nguyen berichtet: „Östrogen unterstützt bei Frauen das ACE-System. Genau dort greifen die Covid-Viren an“, so der Chefarzt. Die körpereigene Abwehr springt offenbar bei Frauen schneller an als bei Männern. Nicht nur für Covid gilt deshalb: Frauen können Viruserkrankungen schneller eliminieren. Andererseits leiden Frauen häufiger unter Long-Covid-Symptomen. Die spricht für eine autoimmune Ursache ähnlich wie bei Rheumaerkrankungen, bei denen der überwiegende Teil von Patienten weiblich ist.
Dass einige Erkenntnisse erst jetzt Eingang ihn die Medizin finden, hat wohl auch mit einer historischen Schieflage in der Grundlagenforschung zu tun. Nach dem Contergan-Skandal verbot die amerikanische Gesundheitsbehörde Frauen im gebärfähigen Alter an Medikamentenstudien teilzunehmen. Bei der Entwicklung neuer Medikamente war daher die Reaktion von Männern lange überpräsentiert. Dabei reagieren Frauen sowohl hormonell bedingt als auch wegen ihres Körperbaus anders auf Medikamente als Männer.
Warum Männer im Durchschnitt früher sterben und häufiger an Krebs erkranken, können die Mediziner noch nicht in der Tiefe erklären. „Sicher tragen auch der Lebenswandel und Ernährungsgewohnheiten dazu bei. Männer essen in der Regel mehr Fleisch. Das hat Auswirkungen auf den Darm und auch auf das Immunsystem“,
erklärt Prof. Nguyen. Eine Studie deutscher Forscher in bayerischen Klöstern über einen langen Zeitraum zeigte allerdings, dass Nonnen bei ähnlich gesunder Lebensweise älter wurden als Mönche. Möglicherweise gibt es also genetisch bedingte Effekte, die über den Lebenswandel hinaus Wirkung haben.
Geschäftsführer Thorsten Celary sagt: „Viele Beispiele zeigen inzwischen, wie immer weitreichender die Erkenntnisse der Gendermedizin werden. Diese Erkenntnisse geben uns wichtige Hinweise dafür, wie wir Patientinnen und Patienten noch zielgerichteter behandeln können.“