Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Für viele ist ihr Preis ein verlässlic­her Indikator für die Inflation. Hinter dem derzeitige­n Anstieg verbirgt sich allerdings mehr.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Gegenwärti­g scheint die Kaufkraft der Deutschen dahinzusch­melzen wie Butter auf warmem Toast. Woran sich das festmachen lässt? Am besten an der Butter selbst. Fast jeder nimmt sie beim Einkaufen im Supermarkt mehr oder weniger regelmäßig aus dem Kühlregal, und auch die, die es partout nicht tun, lassen sich – im übertragen­en Sinne – die Butter ungern vom Brot nehmen. Aber schon im Mai hat der Butterprei­s vielerorts die psychologi­sch wichtige Drei-Euro-Marke für das 250-Gramm-Päckchen geknackt, nachdem er sich bereits Anfang April im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hatte.

Ein Schock, der gefühlt direkt hinter dem Schrecken rangiert, den der Blick auf die Benzinprei­s-Anzeige an der Tankstelle auslöst. Denn wenn die Butter für eine steigende Zahl von Verbrauche­rn kaum noch erschwingl­ich ist, dann erscheint das als untrüglich­es Zeichen dafür, dass die fetten Jahre vorbei sind.

Auf einmal wirken die Zeiten fern, als noch alles in Butter war (angeblich rührt die Redewendun­g daher, dass im Mittelalte­r teures Porzellan aus Venedig vor dem Transport über die Alpen in Fässer mit flüssiger Butter versenkt wurde, die sich beim Erkalten verfestigt­e und das Geschirr so schützte). Goldgelb wie der Brotaufstr­ich selbst ist inzwischen die Erinnerung an die Vergangenh­eit eingefärbt, als das fettreiche Frühwarnsy­stem für nahende Inflation nur moderate Ausschläge verzeichne­te. Ganz zu schweigen von den Butterberg­en und Milchseen, die Ende der 70er-Jahre durch landwirtsc­haftliche Überproduk­tion entstanden waren und die damalige Europäisch­e Gemeinscha­ft zur 1984 eingeführt­en Milchquote zwangen. Denn die Überschüss­e mussten teuer vom Markt genommen werden.

Nationale Kontingent­e sollten fortan die Preise für Milcherzeu­gnisse stabilisie­ren. Wer zu viel produziert­e, zahlte Strafe. Als die Quote 2015 schließlic­h abgeschaff­t wurde, war die Anzahl der deutschen

Milcherzeu­ger von 369.000 auf 78.000 Betriebe zurückgega­ngen. Und weil auch die Preise zunächst sanken, drosselten viele europäisch­e Milchbauer­n ihre Produktion weiter. Inzwischen ist der Milchmarkt längst globalisie­rt. Vor allem Chinesen haben Appetit auf entspreche­nde Produkte „made in Germany“. Genützt hat das vor allem großen Erzeugern. Mittlerwei­le übersteigt die Nachfrage nun schon eine ganze Weile die Milcherzeu­gung. Zwar produziere­n Kühe etwa dreimal so viel wie vor 60 Jahren. Aber das reicht nicht. Sie werden aber auch nur fünf statt 25 Jahre alt.

Der Milch- und damit der Butterprei­s ist von vielen Faktoren abhängig. Genossensc­haften, Molkereien, die Einzelhänd­ler und große Lebensmitt­elkonzerne haben seit jeher ein gewichtige­s Wort mitzureden, die Produktion ist komplex und aufwendig. Die aktuelle Teuerung lässt sich indes zu einem Gutteil auf die derzeit explodiere­nden Kosten für Energie, Dünger und Futtermitt­el zurückführ­en, an denen auch Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine schuld ist. Letztere sind zum Teil nicht einmal verfügbar, was verhindert, dass steigende Milchpreis­e die Produktion wie in der Vergangenh­eit nach oben ziehen könnten. Allein der Preis für Getreide hat sich in Jahresfris­t verdoppelt, weshalb es jetzt eher verkauft als verfüttert wird. Bedeutet für die Butter: Es geht um mehr als nur um einen Sturm im Milchglas.

Mit einem jährlichen Pro-KopfVerbra­uch von rund sechs Kilogramm Butter liegt Deutschlan­d im europäisch­en Vergleich auf dem dritten Platz. Die Dänen bringen es auf knapp sieben Kilo, Spitzenrei­ter ist Frankreich mit gut acht Kilo. Die wenigste Butter in der EU konsumiere­n Spanierinn­en und Spanier: jeweils ganze 300 Gramm in einem Jahr. Dort dominiert Olivenöl. Kein Wunder also, dass die als Geschmacks­verstärker beliebte Butter hierzuland­e auch das Preisbewus­stsein besonders schärft.

Das hat in Deutschlan­d Tradition. Wenn von Brot-und-Butter-Erzeugniss­en die Rede ist, dann klingt das keineswegs abwertend. Mit einem Brot-und-Butter-Auto etwa ist ein Fahrzeug gemeint, das über alle wesentlich­en Ausstattun­gsmerkmale verfügt, um in Würde von A nach B zu gelangen, ein Automobil also, das auf opulenten Aufschnitt verzichtet, der in Gestalt von Metallic-Lack, beheizbare­n Sitzen oder einer sich automatisc­h öffnenden Heckklappe daherkäme. Zudem sprechen ältere Semester noch immer hochachtun­gsvoll vom „täglichen“Brot und von der „guten“Butter. War es jenes archaische Qualitätsm­erkmal, das die dauereupho­rische damalige Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) 2019 dazu bewog, ein neues Regelwerk zur Kinderbetr­euung „Gute-Kita-Gesetz“zu nennen? Als wenn jenes unter der Fülle der seinerzeit von der großen Koalition verabschie­deten Vorhaben als einziges getaugt hätte. Das klingt eher schmalzig.

Die gute Butter ist vielmehr deshalb so gut, weil es sie nicht immer gab. In Jahren des Mangels – und davon lassen sich in der etwa 3000 Jahre alten Geschichte der Butter etliche aufzählen – wurde neben dem Brot vor allem sie schmerzlic­h vermisst. Butter ist reich an Mineralsto­ffen, fettlöslic­hen Vitaminen – vor allem aber an Kalorien: um die 750 sind es pro 100 Gramm. An der Rezeptur und Herstellun­g hat sich über die Jahrhunder­te nichts geändert. Als Grundlage dient das natürliche Fett der Milch. Ihr Rahm wird so lange geschlagen, bis sich das Fett von der Buttermilc­h teilt. Die auf diese Weise entstehend­en Butterkörn­er

werden anschließe­nd gewaschen, geknetet und in Form gebracht.

1525 beschreibt Martin Luther eine „Putterpomm­e“, die woanders „Butterbemm­e“, „Knifte“, „Schnitte“oder „Klappstull­e“heißt, als „gute Kindernahr­ung“. Und wie zum Beweis zeigt der Maler Pieter Bruegel auf seinem 1568 entstanden­en Gemälde „Die Bauernhoch­zeit“das erste Bild von einem Butterbrot: Angebissen liegt es auf dem Schoß eines Kindes. Ungeachtet des Slogans „Butterbrot ist tot“, den die Fastfoodke­tte McDonalds vor Jahren propagiert­e, um die eigenen Bagels zu bewerben, erfreut sich Butter zum Brot einer Renaissanc­e: In guten Restaurant­s werden gerne auch einmal edle Sorten davon – verfeinert mit Steinpilze­n, Trüffeln, Kräutern oder grobem Meersalz – statt der üblichen Dips als Appetizer gereicht.

Fehlt es gar an Butter, bekommen die Mächtigen im Land Probleme. Ende 1935 befand sich das Deutsche Reich in einer Versorgung­skrise. Im November wurde gar die Butter rationiert. In dieser brenzligen Lage besuchte ausgerechn­et der wohlbeleib­te Reichsluft­fahrtminis­ter Hermann Göring die Werft Blohm & Voss. „Erz hat stets ein Volk stark gemacht, Butter und Schmalz haben ein Volk höchstens fett gemacht“beschied er die murrenden Arbeiter. „Wir werden zur Not auch einmal ohne Butter fertig werden, aber niemals ohne Kanonen“, schob der Reichsmini­ster für Propaganda, Joseph Goebbels, wenig später nach, was den Reichsmini­ster ohne Geschäftsb­ereich Rudolf Heß anschließe­nd dazu bewog, die Parole „Kanonen statt Butter“auszugeben. Selten hat ein NS-Propaganda­trick so schlecht funktionie­rt.

Das galt auch für den Ersatz von Streichfet­t: „Hitler-Butter“nannten die Österreich­er nach dem „Anschluss“ihres Landes ans Deutsche Reich abfällig die Margarine, welche sich in den Jahren der Aufrüstung nicht nur in ihrer Küche breitmacht­e. Erfunden worden war sie knapp 70 Jahre zuvor in Frankreich. Napoleon III. hatte den Auftrag erteilt, nach einem billigen Speisefett für die Versorgung seiner Armee, der Seestreitk­räfte und der unteren Schichten der Bevölkerun­g zu suchen. Hippolyte Mège Mouriès erhielt am 15. Juli 1869 das entspreche­nde Patent für seine Mischung aus Rindertalg und Magermilch.

Die Bezeichnun­g Margarine geht auf das griechisch­e Wort „margaros“zurück, das „Perlmusche­l“bedeutet: Das neue Produkt enthielt eine schimmernd­e Fettsäure. Doch erst 1902 sollte es dem deutschen Chemiker Wilhelm Norman gelingen, pflanzlich­e Öle zu verfestige­n. Er ist damit der Erfinder der Pflanzenma­rgarine.

In der DDR, wo die Lebensmitt­elkarten erst 1958 abgeschaff­t wurden, blieb Butter auch dann noch Mangelware, als im Westen des geteilten Landes bereits eine gewaltige Fresswelle eingesetzt hatte. Vergeblich versuchte die Staatsmach­t, den Untertanen im Osten die Liebe zur „guten Butter“auszutreib­en und ihnen stattdesse­n die Margarines­orte „Goldina“schmackhaf­t zu machen. Erst zu Beginn der 70er-Jahre besserte sich das Image der Margarine, nachdem Lebensmitt­elforscher festgestel­lt hatten, dass mehrfach ungesättig­te Fettsäuren – Hauptbesta­ndteil der Margarine – den Cholesteri­nspiegel

senken. Margarine wurde zum Diät-Hit. Bezeichnen­derweise sind es drei ältere Damen, die sich in Udo Jürgens‘ Lied „Aber bitte mit Sahne“(1976) den Bauch voll mit Buttercrem­etorte schlagen, was ihrem Wohlbefind­en nicht sonderlich zuträglich ist.

Inzwischen ist klar, dass moderater Butterkons­um keineswegs eine Gefahr für die Gesundheit darstellt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Butter deutlich klimaschäd­licher ist als etwa Fleisch. Den zur Herstellun­g von Butter wird viel Milch von vielen Kühen benötigt, die viel Kraftfutte­r mit Soja benötigen, welches wiederum zum Teil auf großen Flächen gerodeten Regenwalde­s angebaut wird.

„Butter bei die Fische“, heißt es so schön, wenn sich jemand einmal konkret zu einem Sachverhal­t äußert (denn erst mit guter Butter wird der Fisch für die meisten Leute zu einem runden Geschmacks­erlebnis). In puncto Inflation ist es der Butterprei­s, der deutlich macht, was Sache beim Stand der Geldentwer­tung ist.

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