Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Für viele ist ihr Preis ein verlässlicher Indikator für die Inflation. Hinter dem derzeitigen Anstieg verbirgt sich allerdings mehr.
Gegenwärtig scheint die Kaufkraft der Deutschen dahinzuschmelzen wie Butter auf warmem Toast. Woran sich das festmachen lässt? Am besten an der Butter selbst. Fast jeder nimmt sie beim Einkaufen im Supermarkt mehr oder weniger regelmäßig aus dem Kühlregal, und auch die, die es partout nicht tun, lassen sich – im übertragenen Sinne – die Butter ungern vom Brot nehmen. Aber schon im Mai hat der Butterpreis vielerorts die psychologisch wichtige Drei-Euro-Marke für das 250-Gramm-Päckchen geknackt, nachdem er sich bereits Anfang April im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hatte.
Ein Schock, der gefühlt direkt hinter dem Schrecken rangiert, den der Blick auf die Benzinpreis-Anzeige an der Tankstelle auslöst. Denn wenn die Butter für eine steigende Zahl von Verbrauchern kaum noch erschwinglich ist, dann erscheint das als untrügliches Zeichen dafür, dass die fetten Jahre vorbei sind.
Auf einmal wirken die Zeiten fern, als noch alles in Butter war (angeblich rührt die Redewendung daher, dass im Mittelalter teures Porzellan aus Venedig vor dem Transport über die Alpen in Fässer mit flüssiger Butter versenkt wurde, die sich beim Erkalten verfestigte und das Geschirr so schützte). Goldgelb wie der Brotaufstrich selbst ist inzwischen die Erinnerung an die Vergangenheit eingefärbt, als das fettreiche Frühwarnsystem für nahende Inflation nur moderate Ausschläge verzeichnete. Ganz zu schweigen von den Butterbergen und Milchseen, die Ende der 70er-Jahre durch landwirtschaftliche Überproduktion entstanden waren und die damalige Europäische Gemeinschaft zur 1984 eingeführten Milchquote zwangen. Denn die Überschüsse mussten teuer vom Markt genommen werden.
Nationale Kontingente sollten fortan die Preise für Milcherzeugnisse stabilisieren. Wer zu viel produzierte, zahlte Strafe. Als die Quote 2015 schließlich abgeschafft wurde, war die Anzahl der deutschen
Milcherzeuger von 369.000 auf 78.000 Betriebe zurückgegangen. Und weil auch die Preise zunächst sanken, drosselten viele europäische Milchbauern ihre Produktion weiter. Inzwischen ist der Milchmarkt längst globalisiert. Vor allem Chinesen haben Appetit auf entsprechende Produkte „made in Germany“. Genützt hat das vor allem großen Erzeugern. Mittlerweile übersteigt die Nachfrage nun schon eine ganze Weile die Milcherzeugung. Zwar produzieren Kühe etwa dreimal so viel wie vor 60 Jahren. Aber das reicht nicht. Sie werden aber auch nur fünf statt 25 Jahre alt.
Der Milch- und damit der Butterpreis ist von vielen Faktoren abhängig. Genossenschaften, Molkereien, die Einzelhändler und große Lebensmittelkonzerne haben seit jeher ein gewichtiges Wort mitzureden, die Produktion ist komplex und aufwendig. Die aktuelle Teuerung lässt sich indes zu einem Gutteil auf die derzeit explodierenden Kosten für Energie, Dünger und Futtermittel zurückführen, an denen auch Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine schuld ist. Letztere sind zum Teil nicht einmal verfügbar, was verhindert, dass steigende Milchpreise die Produktion wie in der Vergangenheit nach oben ziehen könnten. Allein der Preis für Getreide hat sich in Jahresfrist verdoppelt, weshalb es jetzt eher verkauft als verfüttert wird. Bedeutet für die Butter: Es geht um mehr als nur um einen Sturm im Milchglas.
Mit einem jährlichen Pro-KopfVerbrauch von rund sechs Kilogramm Butter liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf dem dritten Platz. Die Dänen bringen es auf knapp sieben Kilo, Spitzenreiter ist Frankreich mit gut acht Kilo. Die wenigste Butter in der EU konsumieren Spanierinnen und Spanier: jeweils ganze 300 Gramm in einem Jahr. Dort dominiert Olivenöl. Kein Wunder also, dass die als Geschmacksverstärker beliebte Butter hierzulande auch das Preisbewusstsein besonders schärft.
Das hat in Deutschland Tradition. Wenn von Brot-und-Butter-Erzeugnissen die Rede ist, dann klingt das keineswegs abwertend. Mit einem Brot-und-Butter-Auto etwa ist ein Fahrzeug gemeint, das über alle wesentlichen Ausstattungsmerkmale verfügt, um in Würde von A nach B zu gelangen, ein Automobil also, das auf opulenten Aufschnitt verzichtet, der in Gestalt von Metallic-Lack, beheizbaren Sitzen oder einer sich automatisch öffnenden Heckklappe daherkäme. Zudem sprechen ältere Semester noch immer hochachtungsvoll vom „täglichen“Brot und von der „guten“Butter. War es jenes archaische Qualitätsmerkmal, das die dauereuphorische damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) 2019 dazu bewog, ein neues Regelwerk zur Kinderbetreuung „Gute-Kita-Gesetz“zu nennen? Als wenn jenes unter der Fülle der seinerzeit von der großen Koalition verabschiedeten Vorhaben als einziges getaugt hätte. Das klingt eher schmalzig.
Die gute Butter ist vielmehr deshalb so gut, weil es sie nicht immer gab. In Jahren des Mangels – und davon lassen sich in der etwa 3000 Jahre alten Geschichte der Butter etliche aufzählen – wurde neben dem Brot vor allem sie schmerzlich vermisst. Butter ist reich an Mineralstoffen, fettlöslichen Vitaminen – vor allem aber an Kalorien: um die 750 sind es pro 100 Gramm. An der Rezeptur und Herstellung hat sich über die Jahrhunderte nichts geändert. Als Grundlage dient das natürliche Fett der Milch. Ihr Rahm wird so lange geschlagen, bis sich das Fett von der Buttermilch teilt. Die auf diese Weise entstehenden Butterkörner
werden anschließend gewaschen, geknetet und in Form gebracht.
1525 beschreibt Martin Luther eine „Putterpomme“, die woanders „Butterbemme“, „Knifte“, „Schnitte“oder „Klappstulle“heißt, als „gute Kindernahrung“. Und wie zum Beweis zeigt der Maler Pieter Bruegel auf seinem 1568 entstandenen Gemälde „Die Bauernhochzeit“das erste Bild von einem Butterbrot: Angebissen liegt es auf dem Schoß eines Kindes. Ungeachtet des Slogans „Butterbrot ist tot“, den die Fastfoodkette McDonalds vor Jahren propagierte, um die eigenen Bagels zu bewerben, erfreut sich Butter zum Brot einer Renaissance: In guten Restaurants werden gerne auch einmal edle Sorten davon – verfeinert mit Steinpilzen, Trüffeln, Kräutern oder grobem Meersalz – statt der üblichen Dips als Appetizer gereicht.
Fehlt es gar an Butter, bekommen die Mächtigen im Land Probleme. Ende 1935 befand sich das Deutsche Reich in einer Versorgungskrise. Im November wurde gar die Butter rationiert. In dieser brenzligen Lage besuchte ausgerechnet der wohlbeleibte Reichsluftfahrtminister Hermann Göring die Werft Blohm & Voss. „Erz hat stets ein Volk stark gemacht, Butter und Schmalz haben ein Volk höchstens fett gemacht“beschied er die murrenden Arbeiter. „Wir werden zur Not auch einmal ohne Butter fertig werden, aber niemals ohne Kanonen“, schob der Reichsminister für Propaganda, Joseph Goebbels, wenig später nach, was den Reichsminister ohne Geschäftsbereich Rudolf Heß anschließend dazu bewog, die Parole „Kanonen statt Butter“auszugeben. Selten hat ein NS-Propagandatrick so schlecht funktioniert.
Das galt auch für den Ersatz von Streichfett: „Hitler-Butter“nannten die Österreicher nach dem „Anschluss“ihres Landes ans Deutsche Reich abfällig die Margarine, welche sich in den Jahren der Aufrüstung nicht nur in ihrer Küche breitmachte. Erfunden worden war sie knapp 70 Jahre zuvor in Frankreich. Napoleon III. hatte den Auftrag erteilt, nach einem billigen Speisefett für die Versorgung seiner Armee, der Seestreitkräfte und der unteren Schichten der Bevölkerung zu suchen. Hippolyte Mège Mouriès erhielt am 15. Juli 1869 das entsprechende Patent für seine Mischung aus Rindertalg und Magermilch.
Die Bezeichnung Margarine geht auf das griechische Wort „margaros“zurück, das „Perlmuschel“bedeutet: Das neue Produkt enthielt eine schimmernde Fettsäure. Doch erst 1902 sollte es dem deutschen Chemiker Wilhelm Norman gelingen, pflanzliche Öle zu verfestigen. Er ist damit der Erfinder der Pflanzenmargarine.
In der DDR, wo die Lebensmittelkarten erst 1958 abgeschafft wurden, blieb Butter auch dann noch Mangelware, als im Westen des geteilten Landes bereits eine gewaltige Fresswelle eingesetzt hatte. Vergeblich versuchte die Staatsmacht, den Untertanen im Osten die Liebe zur „guten Butter“auszutreiben und ihnen stattdessen die Margarinesorte „Goldina“schmackhaft zu machen. Erst zu Beginn der 70er-Jahre besserte sich das Image der Margarine, nachdem Lebensmittelforscher festgestellt hatten, dass mehrfach ungesättigte Fettsäuren – Hauptbestandteil der Margarine – den Cholesterinspiegel
senken. Margarine wurde zum Diät-Hit. Bezeichnenderweise sind es drei ältere Damen, die sich in Udo Jürgens‘ Lied „Aber bitte mit Sahne“(1976) den Bauch voll mit Buttercremetorte schlagen, was ihrem Wohlbefinden nicht sonderlich zuträglich ist.
Inzwischen ist klar, dass moderater Butterkonsum keineswegs eine Gefahr für die Gesundheit darstellt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Butter deutlich klimaschädlicher ist als etwa Fleisch. Den zur Herstellung von Butter wird viel Milch von vielen Kühen benötigt, die viel Kraftfutter mit Soja benötigen, welches wiederum zum Teil auf großen Flächen gerodeten Regenwaldes angebaut wird.
„Butter bei die Fische“, heißt es so schön, wenn sich jemand einmal konkret zu einem Sachverhalt äußert (denn erst mit guter Butter wird der Fisch für die meisten Leute zu einem runden Geschmackserlebnis). In puncto Inflation ist es der Butterpreis, der deutlich macht, was Sache beim Stand der Geldentwertung ist.