Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Darum hat‘s für Dormagen noch gereicht
ANALYSE Es sah lange Zeit so aus, als würden die Profi-Handballer des TSV Bayer nach 2016 mal wieder in der 3. Liga verschwinden. Dass das letztlich doch nicht passierte, hatte viel mit dem mutigen Trainerwechsel im Winter und einer Reaktion der Mannschaft zu tun.
DORMAGEN Puh, das war knapp. Viel hat nicht gefehlt und die so traditionsreiche Profimannschaft des TSV Bayer Dormagen wäre nach 2016 erneut in der Bedeutungslosigkeit der 3. Liga verschwunden. Erst am vorletzten Spieltag bei der HSG Nordhorn-Lingen machten die Dormagener den Verbleib in der 2. Handball-Bundesliga perfekt und schafften damit etwas, was ihnen nach einer schwachen Hinrunde und einem durchwachsenen Start in die zweiten Saisonhälfte nicht mehr viele zugetraut hatten. Gerade mal neun Punkte sprangen bis Dezember nach vielen Pleiten, Pech und Pannen heraus, was Trainer Dusko Bilanovic zum Verhängnis wurde. Obwohl der Mannschaft in der Saison zuvor noch auf einen starken siebten Tabellen geführt hatte, war Anfang Januar der Kredit verspielt. Noch vor Beginn der Rückrundenvorbereitung musste der Deutsche-Serbe gehen. Peer Pütz, bis dahin Co-Trainer, übernahm mit Unterstützung von A-Jugend-Coach und Freund David Röhrig die „Mission Impossible“. Die wichtigsten Gründe, weshalb es am Ende „Mission accomplished“hieß, also Auftrag erfüllt.
Der Trainer „Die ruhige, analytische Art Herangehensweise von Peer, war genau das, was das Team benötigt hat“, sagte Björn Barthel, Handball-Geschäftsführer des TSV, nach dem entscheidenden Sieg in Nordhorn. Er war ein großes Risiko eingegangen, in dieser heiklen Situation einen jungen Mann zu installieren, der keinerlei Erfahrung als Chefcoach im Abstiegskampf der 2. Liga mitbrachte. Noch dazu einen, der vom Naturell her das komplette Gegenteil vom extrovertierten Bilanovic ist. Einen unschlagbaren Vorteil hatte Pütz allerdings: Viele Spieler aus dem Kader kannten ihn nicht nur als Co-Trainer, sondern auch aus der Zeit, als sie in der Jugend unter ihm trainierten. Er war hoch anerkannt, es herrschte ein großes Vertrauen in seine Idee vom Handball, zudem bezog er die Spieler mehr mit ein. So gewann er die Mannschaft für sich, die zahlte es vor allem in den wichtigen Partien in der Schlussphase mit Leistung zurück.
Die Spielweise Dusko Bilanovic ließ sich zwar einiges an Personalrochaden einfallen, um der Welle an Ausfällen zu begegnen, doch grundsätzlich hielt er an dem erfolgreichen System der Vorsaison fest.
Torschützen 1. Fynn Hangstein (ThSV Eisenach) 277 Tore, 2. Savvas Savvas (TV Großwallstadt) 261, 3. Dirk Holzner (TV Emsdetten) 229, ... 25. Jan Reimer (Bayer Dormagen) 160, ... 30. André Meuser (Bayer Dormagen) 147 Torhüterparaden 1. Marion Mallwitz (DJK Wölfe Rimpar) 347 Paraden/32,07
Ohne die entsprechenden Spieler funktionierte das offenbar nicht, die Konkurrenz hatte den Code geknackt. Peer Pütz zettelte keine Revolution an, sondern drehte an den entscheidenden Stellschrauben. Vor allem verpasste er dem TSV-Spiel mehr Tempo und machte es damit attraktiver. Im Rückraum setzte er weniger auf die reine Wurfgewalt, sondern vor allem auf das schnelle 1:1-Spiel. Und wenn die traditionell starke Bayer-Abwehr Ballgewinne provozierte, ging es im Eiltempo nach vorn. Zudem wurde auch versucht, die Außen mehr einzubeziehen. Besonders über rechts funktionierte das sehr gut, Jan Reimer avancierte zum auffälligsten Dormagener der Rückrunde. Auch das Überzahlspiel funktionierte unter Pütz insgesamt besser.
Die Aufgabenverteilung War es unter dem alten Trainer noch so, dass er in allen Bereichen den Ton angegeben
Prozent gehaltene Bälle, 2. Jan Minerva (TV Großwallstadt) 323/29,34, 3. Tibor Ivanisevic (VfL Gummersbach) 313/30,39, ... 6. Martin Juzbasic (Bayer Dormagen) 296/29,11; ... 40. Chr. Simonsen (Bayer Dormagen) 80/28,57 Zuschauer 1. VfL Gummersbach 41.249/2171 (im Schnitt), 2. HC Empor Rostock 28.250/1486, 3. Eulen Ludwigshafen 27.317/1437, ... 16. Bayer Dormagen 13.800/726 wollte, wurde mit der Inthronisierung von Pütz versucht, die vorhandenen Kompetenzen im Verein besser zu nutzen. Bestes Beispiel ist Athletiktrainer Nicolas Brandt, der anders mit der Mannschaft arbeiten konnte und mehr auf Prophylaxe setzte. Zum Teil hat sicher auch das nötige Glück eine Rolle gespielt, doch zusammen mit einer guten Belastungssteuerung gelang es so, den Verletztenstand fast auf null zu senken. Gerade in der entscheidenden Saisonphase mit extremen Belastungen stand konstant derselbe Kader zur Verfügung.
Die Mannschaft Ganz klar benannt wurde es zwar nie, aber einige Aussagen nach der Entlassung von Bilanovic lassen darauf schließen, dass die Mannschaft nicht mehr dem Trainer folgen wollte. Daraus ergab sich eine Verantwortung, die der Mannschaft zunächst nicht gerecht wurde. Zu desolat waren Auftritte
wie gegen Hamm, Rimpar und das erste Spiel gegen Eisenach. Erst nach der Länderspielpause im März griffen die von Pütz angestoßenen Änderungen besser, kehrte der Glaube an die eigene Stärke zurück. Das gipfelte darin, dass die Spieler eine derartige Zuversicht entwickelten, dass sie sich von Rückschlägen in den Spielen nicht beirren ließen und weiter den Matchplan durchzogen. Ein Erfolgsfaktor war auch, dass unter Peer Pütz Spieler wie Rechtsaußen Jan Reimer und Torwart Christian Simonsen deutliche Entwicklungssprünge machten, andere wiederrum wie Torwart Martin Juzbasic, der Halblinke Alexander Senden und Mittelmann Ian Hüter fanden ihre alte Form zurück.
Der Kader Bei aller Kritik an Dusko Bilanovic muss ihm zugutegehalten werden, dass er mit einer großen Hypothek in die Saison startete. Der Kader, den allerdings auch er mit zusammengestellt hatte, war zu sehr auf Kante genäht und hatte nicht genug Tiefe. Noch vor Saisonbeginn verletzte sich der Halblinke Alexander Senden, dann setzte ein Verletzungspech ein, dass so nicht einzuplanen war. Egal, was Bilanovic versuchte, es klappte nicht viel, auch weil er auf den drei wichtigen Rückraumpositionen Zweitbesetzungen vorgesehen waren, hinter deren Leistungsvermögen große Fragezeichen standen. Zudem fehlte ein vielseitig einsetzbarer Spieler wie Benjamin Richter. Ironie des Schicksals: Obwohl er im Sommer gehen musste, kam er im Dezember für fünf Spiele zurück und konnte auch helfen. Was in der Hinrunde nicht gelang, nämlich personell nachzubessern, funktionierte im zweiten Saisonabschnitt. Mislav Grgic auf Halblinks und Artur Karvatski auf Halbrechts erwiesen sich als Volltreffer und werden auch nächste am Höhenberg spielen.