Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Forscher erkunden vergessenen „Atombunker“
Mitglieder des Vereins „Luftschutzanlagen RheinKreis Neuss“haben ein Relikt aus dem Kalten Krieg in Grevenbroich dokumentiert: Räume unter einer Schule, die vor den Folgen eines AtomAngriffs schützen sollten.
GREVENBROICH Wie so oft ist es auch diesmal eine unscheinbare Kellertür gewesen, durch die die Mitglieder des Vereins „Luftschutzanlagen Rhein-Kreis Neuss“in eine verborgene Welt gelangt sind: in ein Schutzbauwerk aus den 70er Jahren, in einen Raum mit schweren Stahltüren und Gasschleusen – im Untergeschoss einer Grevenbroicher Schule. In dem mehr als 100 Quadratmeter großen Labyrinth aus Betonwänden wird der Kalte Krieg erlebbar. 14 Tage sollten bis zu 90 Menschen nach einem Atom-Angriff in dem Keller „autark“überleben können. Es ist eine düstere Vorstellung gerade in Zeiten, in denen sich mit Blick auf die Ereignisse in der Ukraine ein neuer Kalter Krieg anzubahnen droht. Die Anlage in Grevenbroich jedenfalls ist in den vergangenen Jahrzehnten in Vergessenheit geraten.
„Das ist die erste Anlage dieser Art, die wir in Grevenbroich dokumentieren konnten“, sagt der Orkener Stefan Rosellen, der sich im Verein engagiert und zahlreiche Luftschutzanlagen auch in der Schlossstadt erforscht hat – bislang aber fast ausnahmslos solche aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs. „Eine vergleichbare Anlage aus dem Kalten Krieg war uns bislang nur in Dormagen bekannt“, sagt Rosellen. Die genaue Lage des Schutzbauwerks in Grevenbroich, das nun fotografiert und ausgemessen wurde, möchten die Vereinsmitglieder nicht öffentlich nennen. Sie selbst hatten einen Tipp erhalten und trafen einen hilfsbereiten Hausmeister mit dem Schlüssel zur „Unterwelt“.
Im Kellergeschoss der Schule befindet sich ein 24 Meter langer Flur, von dem zwei Zugänge zum eigentlichen Schutzraum abzweigen. Der Schutzraum selbst ist in etliche „Abteile“gegliedert, auch gibt es Nischen für Trockenklosetts und Röhren als Teile der schutzraumeigenen Filteranlage. „Sandfilter“, erklärt Stefan Rosellen: „Durch den
Sand wäre vermieden worden, dass nach einem Atomschlag Hitze in das Innere gelangt.“Allerdings seien die Filteranlagen nur unvollständig vorhanden – überhaupt wirkt das Schutzbauwerk nicht vollendet.
„Warum die Anlage nie fertiggestellt wurde, ist nicht bekannt“, sagt Stefan Rosellen, der den für solche Bauwerke häufig verwendeten Begriff
„Atombunker“meidet, denn: „Die Anlage hätte vielleicht vor Trümmern und dem radioaktiven Niederschlag geschützt, einer Atombomben-Detonation direkt aber nicht standgehalten.“So haben die armierten Betonwände im Inneren eine Stärke von gerade einmal 20 bis 30 Zentimetern, die Decke soll etwa 40 Zentimeter stark sein.
Wie Rosellen erklärt, waren Schutzräume wie dieser dafür konzipiert, das Überleben von Menschen nach einem Atom-Angriff zu sichern. „Man ist immer davon ausgegangen, dass sich ein Angriff politisch ankündigt. In so einem Fall hätte man den Schutzraum entsprechend ausgestattet: mit Betten, Tischen, Stühlen, Lebensmittel- und
Wasservorräten.“Um das Leben „unter Tage“habe man sich hingegen kaum Gedanken gemacht: „Es gibt keine Wasseranschlüsse, nur Trockenklosetts. Auch hätte es wohl keinen Raum für Religion gegeben, nichts zum Spielen für Kinder, keine Unterhaltung.“
Auch wenn sich der nun entdeckte „Atombunker“unter einer Grevenbroicher Schule befindet: Explizit für Schüler war er nicht gedacht. „Wenn sich ein Atomschlag angekündigt hätte, wäre der Unterricht vorher ausgesetzt worden“, sagt Stefan Rosellen: Der Schutzraum hätte dann den Anwohnern gedient. Dazu ist es glücklicherweise nie gekommen. Stattdessen wurde der Keller der Schule übergangsweise offenbar als „Partyraum“genutzt – davon zeugen bunte Wandmalereien und Schriftzüge wie „Discofieber“. Heute stehen die Räume leer, berichtet Rosellen. Wegen Feuchtigkeit könnten sie auch nicht als Lagerstätte genutzt werden.
Zu anderen Bauwerken in Grevenbroich, die sich mit dem Kalten Krieg in Verbindung bringen lassen, zählen die Raketenstation als Teil des Nato-Luftverteidigungsgürtels bei Kapellen sowie die ehemalige Kaserne. Die Station Kapellen hatte „atomaren Status“, untergebracht waren dort belgische und amerikanische Streitkräfte.