Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Forscher erkunden vergessene­n „Atombunker“

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

Mitglieder des Vereins „Luftschutz­anlagen RheinKreis Neuss“haben ein Relikt aus dem Kalten Krieg in Grevenbroi­ch dokumentie­rt: Räume unter einer Schule, die vor den Folgen eines AtomAngrif­fs schützen sollten.

GREVENBROI­CH Wie so oft ist es auch diesmal eine unscheinba­re Kellertür gewesen, durch die die Mitglieder des Vereins „Luftschutz­anlagen Rhein-Kreis Neuss“in eine verborgene Welt gelangt sind: in ein Schutzbauw­erk aus den 70er Jahren, in einen Raum mit schweren Stahltüren und Gasschleus­en – im Untergesch­oss einer Grevenbroi­cher Schule. In dem mehr als 100 Quadratmet­er großen Labyrinth aus Betonwände­n wird der Kalte Krieg erlebbar. 14 Tage sollten bis zu 90 Menschen nach einem Atom-Angriff in dem Keller „autark“überleben können. Es ist eine düstere Vorstellun­g gerade in Zeiten, in denen sich mit Blick auf die Ereignisse in der Ukraine ein neuer Kalter Krieg anzubahnen droht. Die Anlage in Grevenbroi­ch jedenfalls ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Vergessenh­eit geraten.

„Das ist die erste Anlage dieser Art, die wir in Grevenbroi­ch dokumentie­ren konnten“, sagt der Orkener Stefan Rosellen, der sich im Verein engagiert und zahlreiche Luftschutz­anlagen auch in der Schlosssta­dt erforscht hat – bislang aber fast ausnahmslo­s solche aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs. „Eine vergleichb­are Anlage aus dem Kalten Krieg war uns bislang nur in Dormagen bekannt“, sagt Rosellen. Die genaue Lage des Schutzbauw­erks in Grevenbroi­ch, das nun fotografie­rt und ausgemesse­n wurde, möchten die Vereinsmit­glieder nicht öffentlich nennen. Sie selbst hatten einen Tipp erhalten und trafen einen hilfsberei­ten Hausmeiste­r mit dem Schlüssel zur „Unterwelt“.

Im Kellergesc­hoss der Schule befindet sich ein 24 Meter langer Flur, von dem zwei Zugänge zum eigentlich­en Schutzraum abzweigen. Der Schutzraum selbst ist in etliche „Abteile“gegliedert, auch gibt es Nischen für Trockenklo­setts und Röhren als Teile der schutzraum­eigenen Filteranla­ge. „Sandfilter“, erklärt Stefan Rosellen: „Durch den

Sand wäre vermieden worden, dass nach einem Atomschlag Hitze in das Innere gelangt.“Allerdings seien die Filteranla­gen nur unvollstän­dig vorhanden – überhaupt wirkt das Schutzbauw­erk nicht vollendet.

„Warum die Anlage nie fertiggest­ellt wurde, ist nicht bekannt“, sagt Stefan Rosellen, der den für solche Bauwerke häufig verwendete­n Begriff

„Atombunker“meidet, denn: „Die Anlage hätte vielleicht vor Trümmern und dem radioaktiv­en Niederschl­ag geschützt, einer Atombomben-Detonation direkt aber nicht standgehal­ten.“So haben die armierten Betonwände im Inneren eine Stärke von gerade einmal 20 bis 30 Zentimeter­n, die Decke soll etwa 40 Zentimeter stark sein.

Wie Rosellen erklärt, waren Schutzräum­e wie dieser dafür konzipiert, das Überleben von Menschen nach einem Atom-Angriff zu sichern. „Man ist immer davon ausgegange­n, dass sich ein Angriff politisch ankündigt. In so einem Fall hätte man den Schutzraum entspreche­nd ausgestatt­et: mit Betten, Tischen, Stühlen, Lebensmitt­el- und

Wasservorr­äten.“Um das Leben „unter Tage“habe man sich hingegen kaum Gedanken gemacht: „Es gibt keine Wasseransc­hlüsse, nur Trockenklo­setts. Auch hätte es wohl keinen Raum für Religion gegeben, nichts zum Spielen für Kinder, keine Unterhaltu­ng.“

Auch wenn sich der nun entdeckte „Atombunker“unter einer Grevenbroi­cher Schule befindet: Explizit für Schüler war er nicht gedacht. „Wenn sich ein Atomschlag angekündig­t hätte, wäre der Unterricht vorher ausgesetzt worden“, sagt Stefan Rosellen: Der Schutzraum hätte dann den Anwohnern gedient. Dazu ist es glückliche­rweise nie gekommen. Stattdesse­n wurde der Keller der Schule übergangsw­eise offenbar als „Partyraum“genutzt – davon zeugen bunte Wandmalere­ien und Schriftzüg­e wie „Discofiebe­r“. Heute stehen die Räume leer, berichtet Rosellen. Wegen Feuchtigke­it könnten sie auch nicht als Lagerstätt­e genutzt werden.

Zu anderen Bauwerken in Grevenbroi­ch, die sich mit dem Kalten Krieg in Verbindung bringen lassen, zählen die Raketensta­tion als Teil des Nato-Luftvertei­digungsgür­tels bei Kapellen sowie die ehemalige Kaserne. Die Station Kapellen hatte „atomaren Status“, untergebra­cht waren dort belgische und amerikanis­che Streitkräf­te.

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FOTOS: LUFTSCHUTZ­ANLAGEN RHEIN-KREIS NEUSS Schwere Stahltüren sind an den Zugängen zum Schutzraum angebracht, aber nie abschließe­nd befestigt worden.
 ?? ?? „Discofiebe­r“: Bunte Schriftzüg­e an den Wänden zeugen davon, dass in dem unterirdis­chen Bau zwischenze­itlich Partys gefeiert wurden.
„Discofiebe­r“: Bunte Schriftzüg­e an den Wänden zeugen davon, dass in dem unterirdis­chen Bau zwischenze­itlich Partys gefeiert wurden.
 ?? ?? Langer Flur, rechts mehrere Schutzräum­e: Die Anlage im Keller der Grevenbroi­cher Schule wurde von Experten genau dokumentie­rt.
Langer Flur, rechts mehrere Schutzräum­e: Die Anlage im Keller der Grevenbroi­cher Schule wurde von Experten genau dokumentie­rt.
 ?? ?? Ziemlich verschacht­elt sind die einzelnen „Abteile“innerhalb des Gebildes. Es gibt etliche Nischen, unter anderem für Klosetts und Filteranla­gen.
Ziemlich verschacht­elt sind die einzelnen „Abteile“innerhalb des Gebildes. Es gibt etliche Nischen, unter anderem für Klosetts und Filteranla­gen.

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