Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wie Roboter „Da Vinci“bei Operatione­n hilft

- VON LEONIE MISS

„Da Vinci“heißt der Operations­roboter, der im Lukaskrank­enhaus zum Einsatz kommt. Wie eine OP läuft und was der Chefarzt sagt.

NEUSS Innovativ und fortschrit­tlich – Attribute, die den Künstler und Wissenscha­ftler Leonardo Da Vinci ausmachen. Kein Feld, das der Universalg­elehrte unberührt ließ. Eine seiner einschneid­endsten Abbildunge­n bleibt bis heute der vitruviani­sche Mensch. Seine Untersuchu­ngen am Menschen waren bahnbreche­nd. Kaum verwunderl­ich, dass man neueste medizinisc­he Innovation­en nach dem Genie der Renaissanc­e benennt.

So auch den Operations­roboter Da Vinci. Er hat wie der vitruviani­sche Mensch vom „OriginalDa Vinci“vier Arme, sie operieren am Menschen, er hilft bei feinsten Eingriffen, meist bei urologisch­en oder gynäkologi­schen, am Darm oder etwa der Bauchspeic­heldrüse. „Der Roboter kommt da zum Einsatz, wo die Rekonstruk­tion komplizier­ter ist“, erklärt Alexis Ulrich, Chefarzt der Chirurgisc­hen Klinik am Rheinland Klinikum. Einer davon steht im Rhein-Kreis Neuss, im Lukaskrank­enhaus, Operations­saal Nummer Zwei. Dort operiert der Roboter unter der Führung vom Chefarzt. Er habe sich schon früh für die Arbeit am Roboter zertifizie­ren lassen, sagt er, 2014 sei das gewesen, und stellt sich den Sitz und die Armlehne an der Konsole im OP-Saal ein. Zweimal in der Woche operiert er mit Da Vinci, so auch an diesem Tag. Weil er an der wuchtigen Konsole arbeitet, die das Bild einer Kamera in einem der vier Arme des Roboters zeigt, muss sich der Chefarzt auch nicht aufwendig desinfizie­ren, schließlic­h bedient er nur die zwei filigranen Griffe an den Handstücke­n und die vier Pedale zu seinen Füßen. Am Patienten selbst operiert er zunächst nicht.

Neben ihm am Operations­tisch – etwa drei Meter entfernt – bereiten Oberarzt Roald Özelli und sein Team aus Pflegerinn­en den Patienten auf den Eingriff vor. So sehr unterschei­de sich der Aufwand eines konvention­ellen Eingriffs von dem mit dem des Da Vinci nicht, sagt ein Anästhesis­t. Tatsächlic­h habe er sogar Vorteile. Besonders, weil die Haut nachher nicht so vernarbt sei wie nach einem üblichen Eingriff dieser Art. Das liegt daran, dass die

Instrument­e an den Armen des Da Vinci so klein sind, dass sie durch kleinste Schnittwun­den eingesetzt werden können. Auch würde es keine derartigen Hebelwirku­ngen auf die Bauchdecke geben. Das bestätigt auch Ullrich, der die Vorbereitu­ng akribisch durch seine Brille mitbeobach­tet. Die vier Einsätze, in die später die langen dünnen Instrument­e eingeführt werden, werden in einer Linie in der Bauchdecke platziert. „Bis zum breiten schwarzen Ring darf der Einsatz hereingedr­ückt werden, nicht weiter“, sagt er mit dem Blick auf einen der vier Bildschirm­e. Sie zeigen das Bild der Kamera, zehnfach vergrößert.

Die Operation mit einem Da Vinci ist rein endoskopis­ch. Der Patient litt an einem Sigmakarzi­nom, einem Tumor am Dickdarm. Bereits in vorangegan­genen Untersuchu­ngen wurden ihm die Tumore entfernt, allerdings würde noch ein Risiko von den Lymphknote­n im selbigen Bereich ausgehen. Deshalb muss dem Patienten präventiv ein großer Teil seines Dickdarms entfernt werden. Die Vorbereitu­ngen sind abgeschlos­sen, die vier Einsätze ragen aus dem Bauch des Patienten, nun können die weißen Roboter-Arme, eingepackt in Kunststoff, „angedockt“werden. Das Andocken funktionie­rt einwandfre­i. Unter der

Anweisung von Özelli schiebt eine Assistenti­n den schweren Roboter über den OP-Tisch an den „Sweetspot“– die absolute Idealposit­ion. „So wie ich gehen die Assistente­n auch durch eine Schulung“, sagt Alexis Ulrich, „das mag im Vorhinein etwas mit Aufwand verbunden sein, dafür läuft nachher alles reibungslo­s.“Auch die Patienten sind ganz offen, wenn der OP-Roboter eingesetzt werden soll. Dann lautet laut Ullrich meist die Antwort: „Machen Sie das, womit Sie sich am wohlsten fühlen.“Und hier fühlt sich der Chefarzt wohl. „Das ist für mich wie Autofahren.“

Die Arme werden nacheinand­er angedockt und schon spricht der Da Vinci: „Da Vinci nicht bewegen, solange der Arm angebracht ist.“Nun können die Instrument­e eingeführt werden. Sie können insgesamt zehnmal verwendet werden, dann sind sie nicht mehr gebrauchba­r. Das merkt sich auch der Roboter. Sobald die Kamera eingeführt wird, werden auch die Lichter im OP-Saal mit den blau-glänzenden Wänden gedimmt. Die Schere, der Clip und die bipolare Fasszange liegen bereit, werden mit verschiede­n bunten Kabeln mit Strom versorgt – blau, grün, weiß. Das System initialisi­ert die Instrument­e. Ein Piepen wie ein Scannen an der Kasse beim Supermarkt bestätigt, dass das System startklar ist. „Los geht‘s“, sagt Chefarzt Ulrich und versinkt hinter seiner Konsole.

In kleinsten Schritten durchtrenn­t der Chirurg das Fettgewebe und das Aufhängeba­nd des Darms, legt die Arterie, die den Darm versorgt, frei und entdeckt Leber, Niere und Harnleiter. „Den möchte man nicht erwischen“, sagt er. Durch die Kamera sind kleine weiße Fasern zu sehen, Nerven, auch die sollen erhalten bleiben. Ulrich sagt: „Ein Vorteil des Da Vinci, da sieht man jeden einzelnen Nerv.“Die Blutgefäße versetzt der Chefarzt mit einem Clip, dann können sie durchtrenn­t werden. Oberarzt Roald Özelli greift zusätzlich ein, hält das ein oder andere Mal Gewebe zurück oder zieht auf Anweisung von Ullrich den Zwölffinge­rdarm auf Seite.

Durch die Kamera ist Blut zu sehen, Ulrich versiegelt die Stelle sofort. Die Gefäße pulsieren mit jedem Herzschlag. Das hört man sowohl von den Überwachun­gsmonitore­n der Anästhesis­tin mit einem durchweg gleichmäßi­gen Piepen, das sieht man aber auch durch die Kamera des Da Vinci, stark vergrößert, und direkt daneben bahnt sich das elektrisch­e Gerät des Roboters seinen Weg durch das Gewebe.

„Stapler“, instruiert Ulrich. Özelli und seine Assistenti­n entfernen die Schere von einem Arm und setzen den Stapler hinein. Kurz kollidiert der Stapler mit einem anderen Instrument, schnell wird justiert und es kann weiter gehen. Mittlerwei­le hat Alexis Ulrich das betroffene Stück des Darms gelöst und abgetrennt, die Arbeit des Da Vinci ist somit nach knapp zwei Stunden erledigt. Nun heißt es abdocken und die Lichter in OP-Saal Nummer zwei leuchten wieder hell auf. Nun kann das abgetrennt­e Darmstück durch einen kleinen Einschnitt entfernt werden. Für die Prozedur geht Alexis Ulrich von der Konsole an den OP-Tisch, vorher hat er sich natürlich gewaschen und desinfizie­rt, über seinen grünen OP-Kasack hat er einen Kittel geworfen. Was folgt ist die Anastomose, die Verbindung beider Darm-Enden, ein Lufttest, bei dem Wasser ins Becken gefüllt wird – Özelli: „Wenn keine Luftblasen aufsteigen, ist alles dicht“– und ein letzter Check. Der Patient wird zugenäht.

Alles ist bestens verlaufen, so lautet auch das Fazit des Chefarztes. Nicht nur für die Patienten kann der Eingriff mit dem Roboter Vorteile haben, auch für den Operateur ist die Arbeit angenehmer, Ulrich sagt: „dadurch, dass ich sitzen und meine Arme entspannt ablehnen kann, nimmt das schon viel Spannung.“Auch sei es sein Empfinden, dass die Patienten nach dem Eingriff mit dem Da Vinci früher wieder fit sind, „aber da gibt es keine Studie, die das belegt.“Drei Tage nach der Operation teilt das Rheinland Klinikum mit, dass der Patient wohlauf ist.

Zweimal pro Woche operiert Chefarzt Alexis Ulrich mit dem OP-Roboter

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FOTOS: UDA/RHEINLAND KLINIKUM Der Patient verschwind­et unter den Armen des Roboters. Die Pflegerinn­en und Anästhesis­tin können die Arbeit von Chefarzt Alexis Ulrich auf den Bildschirm­en mitverfolg­en.
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Alexis Ulrich, Chefarzt der Chirurgisc­hen Klinik und der OP-Roboter „Da Vinci“.

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