Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Sexuelle Anmache per Handy nimmt zu
Die Reduktion sozialer Kontakte während der Pandemie hat ein Thema für Kinder und Jugendliche massiv verstärkt: das Cybergrooming, die sexuell motivierte Ansprache über die sozialen Medien. Ein Hauptkommissar berichtet.
RHEIN-KREIS Andreas Dyrschka findet klare Worte: „Männer verschiedenen Alters verschaffen sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen Zugriff auf unsere Kinder und verfolgen dabei ganz klar sexuelle Hintergründe,“so der Kriminalhauptkommissar, der bei der Polizei im Rhein-Kreis für Prävention und Opferschutz zuständig ist. Dabei gelte für die Täter „je jünger, desto besser“. Im Klartext: Je jünger das Kind auf dem Foto, desto höher der sexuelle Reiz für den Täter.
„Für Fotos oder Videos von Kindern wird im Internet viel Geld bezahlt. Gefährlich dabei ist, dass die Kinder, die sich leicht bekleidet auf Plattformen wie TikTok zeigen und Spaß haben, gar nicht ahnen können, dass Männer, die jeden Tag das Internet nach genau diesem Content durchforsten, davon sexuell erregt werden.“Die Täter sind nicht nur Erwachsene, die den Opfern vorgaukeln gleichaltrig zu sein, auch Jugendliche machen sich auf perfide Weise online an ihre Mitschüler heran.
Das Wort „Cybergrooming“kommt aus dem Englischen (to groom bedeutet übersetzt: etwas pflegen, jemanden auf etwas vorbereiten) und verniedlicht eine mehr als ernstzunehmende Problematik, denn: Die Fallzahlen explodieren, so der Fachmann der Polizei, und die Dunkelziffer sei ebenfalls hoch, da viele Fälle nie angezeigt werden. Die Corona-Pandemie habe die Lage zusätzlich verschärft und „Öl ins Feuer gegossen“.
Eine Erfahrung, die auch die Neusser Rechtsanwältin für Familienrecht, Nadine Thiel, in ihrer täglichen Praxis macht: „Die Kinder waren lange isoliert und mussten soziale Kontakte reduzieren. Daher sind sie im Moment besonders anfällig für vermeintlich zugewandte Kontakte.“Die Masche der Täter ist einfach erklärt: Über WhatsApp, TikTok, Spielforen, Instagram oder andere soziale Medien schreiben die Pädophilen mehrere Kinder an oder „liken“zunächst einen Beitrag des späteren Opfers. Sie geben vor, ein Freund oder eine Freundin und gleichaltrig zu sein, zeigen Interesse,
Verständnis und nehmen das Kind ernst. Nach und nach wächst so das Vertrauen, Handynummern werden ausgetauscht und der Täter fokussiert
• Nehmen Sie sich Zeit für ihr Kind und zeigen Sie Interesse für das, was ihr Kind mit dem Handy oder im Internet macht.
• Vertrauen Sie ihrem Kind, nehmen Sie es ernst und stehen Sie hinter ihm. Ihr Kind ist nie schuldig, sondern immer das Opfer.
• Smartphone- oder Internetverbote können dazu führen, dass ihr Kind sich nicht mehr traut, Ihnen etwas zu erzählen.
• Akzeptieren Sie die Online-Welt ihres Kindes, aber nehmen sie die Gefahrenpotenziale wahr und bleiben sich auf ein Kind. Irgendwann kommt die Frage nach einem Foto und dann ist der Weg zu Nacktfotos nicht mehr weit. „Das geht los, sobald
Sie darüber mit Ihrem Kind im Gespräch.
• Und im Verdachtsfall: Wenden Sie sich sofort an die Polizei, eine Beratungsstelle oder einen Rechtsanwalt.
Adressen Ambulanz für Kinderschutz in Neuss unter 02131 980194; Polizei im Rhein-Kreis unter 02131 3000
Was Das nächste Instalive mit Nadine Thiel und Sandra Peters findet am Donnerstag, 23. Juni, ab 20.30 Uhr auf Instagram @diefamilienanwaeltin oder @sandra_peters_socialmedia statt. die Kinder mit den Medien in Berührung kommen,“erzählt die 43-jährige Juristin, die ebenfalls als Opferanwältin tätig ist, „also ab acht
Jahren. Manche sehen den Versand von Nacktfotos auch als Mutprobe an und fühlen sich verstanden von dem unbekannten Gegenüber am Handy.“Gemeinsam mit der Journalistin und Social-Media-Expertin Sandra Peters hat sie bei Instagram ein „Instalive“zu dem Thema ins Leben gerufen, um aufzuklären.
Kriminalhauptkommissar Andreas Dyrschka erklärt, warum die Zahlen so rasant steigen: „Früher war es für die Täter schwierig, Vertrauen zu einem Kind aufzubauen. Es bedurfte viel Vorbereitung und die Gefahr erwischt zu werden, war enorm, denn die Ansprache konnte ja nur persönlich, etwa auf dem Schulweg erfolgen. Heute erledigen die Kinder die Recherche-Arbeit für den Täter: Sie öffnen sich ihm im Chat, geben ihre Daten wie Schule, Hobby oder gar Wohnort in Steckbriefen oder Profilen an und geben so unbewusst immer mehr Informationen über sich preis, die sie später zu einem leichten Opfer machen können.“Ein „inflationärer Umgang mit privaten Bildern und Daten“sei das, so die Worte des Kriminalhauptkommissars. Kinder brauchen jemanden, der sie durch die digitale Welt führe und dürfen nicht unkontrolliert mit dem Internet alleine gelassen werden.
Die Pandemie habe zudem dazu geführt, dass die Verweildauer im Internet von früher rund 180 Minuten täglich auf 258 Minuten gestiegen ist – das sind vier Stunden und 18 Minuten für die Gruppe der Zwölf- bis 14-jährigen. Ganz wichtig: Sobald der Verdacht auf Cybergrooming besteht, sollte man sich sofort an die Polizei, eine Beratungsstelle oder einen Anwalt für Familienrecht wenden. Wichtig zu wissen in diesem Zusammenhang: Schon das Weiterleiten von Nacktfotos oder das Erstellen eines Screenshots gilt strafrechtlich bereits als „Besitz und Verbreitung von kinderpornografischem Material“und ist somit strafbar.
„Mit Beginn der Sommerferien werden die Kids leider noch mehr am Handy hängen als ohnehin schon,“prognostiziert Nadine Thiel, selber Mutter von zwei Töchtern, und rät „seien Sie also stets aufmerksam und ansprechbar.“