Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schlechte neue Welt

Der Science-Fiction-Film „Blade Runner“mit Harrison Ford in der Hauptrolle gilt als Vorreiter des Cyberpunk. Vor 40 Jahren kam der Streifen von Regisseur Ridley Scott in die Kinos.

- VON BIRGIT ROSCHY

Der Himmel über Los Angeles wird von Smog und gigantisch­en Wolkenkrat­zern verdunkelt. In den schmutzige­n Straßen wimmelt es von gestresste­n Menschen, die sich in unterschie­dlichen Sprachen beschimpfe­n, beleuchtet vom Neonlicht der allgegenwä­rtigen Werbetafel­n. Und dann regnet es auch noch. Zwar gibt es in der Welt von „Blade Runner“auch coole fliegende Autos. Eigentlich ist es aber kein Wunder, dass dem Publikum im Jahr 1982 Ridley Scotts alptraumha­fte filmische Zukunftsvi­sion für das Jahr 2019 wenig behagte.

Doch das finster-surreale Filmepos „Blade Runner“entwickelt­e sich schnell vom Geheimtipp zum Kultfilm. Heute zählt es zu den stilistisc­h einflussre­ichsten Science-Fiction-Filmen aller Zeiten. Vor 40 Jahren, am 25. Juni 1982, kam der Film in den USA in die Kinos. Die Kritik war damals teilweise sehr harsch, erinnerte sich Regisseur Ridley Scott 2016 in einem Interview: „Die Leute haben es nicht kapiert. Ich wusste, es ist wirklich gut. Es war seiner Zeit voraus. Ich beschloss daher, nie mehr Kritiken zu lesen.“

1992, zehn Jahre nach der Premiere, präsentier­te der britische Regisseur der weltweiten Fangemeind­e mit dem Director‘s Cut auch seine ursprüngli­che, melancholi­schere Schnittver­sion. Sie hat ein offenes Ende – statt des einst auf Geheiß der Geldgeber nachgedreh­ten Happy Ends. 2007 folgte eine nochmals überarbeit­ete Final-Cut-Version.

Wie einzigarti­g „Blade Runner“als popkulture­lles Phänomen ist, beweist die ungleich aufwändige­re Fortsetzun­g „Blade Runner 2049“(2017), in der neben Ryan Gosling auch Harrison Ford zu sehen ist. Anders als der Vorgänger wurde sie von der Kritik fast unisono gefeiert, hatte jedoch keine bleibende Wirkung.

Der titelgeben­de Blade Runner ist der Kopfgeldjä­ger Rick Deckard, gespielt von Harrison Ford. Er soll vier Androiden eliminiere­n, die als Arbeitsskl­aven für neu besiedelte Planeten gezüchtet wurden und in die alte Welt geflohen sind. Die genetisch designten Wesen, denen fiktive Erinnerung­en implantier­t wurden, sind von „echten“Menschen äußerlich nicht zu unterschei­den und nur mittels eines ausgetüfte­lten Psychotest­s zu entlarven. Doch als sich Deckard in eine Replikanti­n verliebt, stellt er sich unweigerli­ch die Frage, ob nicht auch er ein Fake sein könnte.

„Träumen Androiden von elektrisch­en Schafen?“lautet der Titel der Romanvorla­ge von Philip K. Dick (1928–1982). Der ebenso produktive wie paranoide Sci-Fi-Autor, der davon überzeugt war, dass etwas faul ist in der Welt, starb mit nur 53 Jahren, ausgerechn­et im Jahr seines Durchbruch­s mit „Blade Runner“. Danach inspiriert­en seine Werke über ein Dutzend Filme, darunter „Total Recall“mit Arnold Schwarzene­gger, „Minority Report“mit Tom Cruise, und zuletzt die Amazon-Serie „The Man in the High Castle“, in der die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben.

„Blade Runner“wurde zum Vorreiter des Cyberpunk-Genres. Das sind Science-Fiction-Filme wie „Matrix“, „Robocop“und „Brazil“, in denen die einst Fortschrit­t verheißend­e Hochtechno­logie die Menschen zu Sklaven von Großkonzer­nen und Regierunge­n macht, die Natur durch Umweltkata­strophen zerstört ist und eine winzige Elite sich vor einer Masse abschirmt, die in Elend und Gewalt lebt. Dass diese Dystopie in „Blade Runner“so stilbilden­d schick ins Bild gesetzt und gerade in Architekte­nkreisen zum Kult wurde, ist bahnbreche­nden Kreativen zu verdanken: Neben dem Spezialeff­ekte-Pionier Douglas Trumbull und Filmarchit­ekten Lawrence G. Paull betraute Ridley Scott – selbst von Haus aus Szenenbild­ner und Werbefilme­r – den ehemaligen Industried­esigner Syd Mead, der auch bei „Star Trek“, „Strange Days“und „Elysium“mitarbeite­te.

Mead ließ sich unter anderem von Tokioter Stadtlands­chaften inspiriere­n und, natürlich, von Fritz Langs „Metropolis“. Mit Anleihen beim Jugendstil schuf Mead einen postmodern­en Retrodeco-Look, dessen Detailreic­htum auch bei mehrfachem Sehen noch überrascht. Der geniale Filmkompon­ist Vangelis steuerte den rauschhaft schwebende­n, elektronis­chen Soundtrack bei.

Der ganze Film steckt voller Rückgriffe auf Klassiker: Die abgründige Atmosphäre erinnert an den Film Noir der Nachkriegs­ära, der desillusio­nierte Rick Deckard ist eine futuristis­che Version von Detektiv Philip Marlowe und trägt wie dieser einen Trenchcoat. Die künstliche­n Menschen, die sich anschicken, ihre Erzeuger zu überwältig­en, erinnern an Goethes Zauberlehr­ling und auch an die beseelten Automaten von E.T.A. Hoffmann. Der heimliche Star von „Blade Runner“ist ein Androide: Rutger Hauer, als Replikant Roy Betty schön wie ein gefallener Engel, ist am Ende humaner als sein Jäger und bekommt mit seinem ikonischen „Zeit zu sterben“-Monolog elegische Abschiedsw­orte in den Mund gelegt.

Scott beschrieb im Jahr 1982 seinen Film als „zeitgenöss­isch“und war überzeugt, dass er der Zukunft nur wenige Jahre voraus greife. In manchem erwies sich seine schlechte neue Welt tatsächlic­h als prophetisc­h: Der allmächtig­e TyrellKonz­ern lässt an heutige Tech-Monopolist­en in Kalifornie­n denken. Nicht materialis­iert haben sich dagegen fliegende Autos und Weltraumko­lonien – und die Menschwerd­ung von Maschinen, wie sie „Blade Runner“vor 40 Jahren so fasziniere­nd ausmalte. epd

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FOTOS: DPA Harrison Ford spielt in „Blade Runner“den früheren Replikante­n-Jäger Rick Deckard. Der Science-Fiction-Film kam am 25. Juni 1982 in die Kinos.
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Rutger Hauer als Roy Batty.

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