Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Sorge vor Chaos bei Energieversorgung
Steigende Energiekosten sowie der drohende Gaslieferstopp Russlands lassen die Alarmglocken in den Unternehmen schrillen. Die IHK legt Forderungen für eine sichere Energieversorgung der Wirtschaft vor. Die Kohle soll helfen.
RHEIN-KREIS Kurt Vetten findet deutliche Worte. „Die Lage ist prekär“, betont der Geschäftsführer der SME Management GmbH. Vetten stellte jetzt in der Vollversammlung der Industrieund Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein die Ergebnisse des Impulspapiers „Perspektive: Energiesicherheit im Kern- und Wirkungsraum des Rheinischen Reviers“vor. Die von den IHKs Mittlerer Niederrhein, Aachen und Köln beauftragte Analyse zeigt, wie groß der Handlungsbedarf angesichts der Energiewende und des Ausstiegspfads aus der Kohleverstromung ohnehin schon war. Doch der Krieg in der Ukraine hat die Voraussetzungen dramatisch verschärft, weil die Brückentechnologie Gas wegbricht. Auf Kohle, so die Botschaft der Analyse, kann nicht verzichtet werden. „Wir müssen mit den aktuell vorhandenen betriebsfähigen Anlagen jetzt die Versorgungssicherheit gewährleisten – sonst haben wir Chaos“, betont Vetten.
Die Kohlekraftwerke hat, wenngleich mit Bauchschmerzen, ja auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits in den Blick genommen. Dass er in der vergangenen Woche die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen hat, zeigt die Dringlichkeit. Um den Einsatz von Gas bei der Stromerzeugung zu reduzieren, soll kurzfristig mehr Kohle verstromt werden und Kohlekraftwerke länger in der Reserve gehalten werden können. Die Maßnahme soll bis 2024 befristet sein.
Die aktuelle Gemengelage befeuert die Sorgen der Unternehmen, insbesondere in einer energieintensiven Region wie dem Rhein-Kreis Neuss. Die IHK-Vollversammlung hat daher ein Positionspapier verabschiedet, der Titel: „Forderungen für eine sichere Energieversorgung der Wirtschaft“. Unter anderem soll ein Schlussstrich unter die Diskussionen um einen vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung gemacht, es sollen Anreize für Investitionen in Netzkapazitäten geschaffen und der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Wasserstofftechnologie soll massiv vorangetrieben werden.
Dass in all diesen Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht, betont Jürgen Steinmetz. „Unsere Positionen zielen darauf, die wirtschaftliche Stärke unserer Region zu erhalten und sie gleichzeitig in eine klimafreundliche Zukunft zu führen“, sagt der Hauptgeschäftsführer
der IHK Mittlerer Niederrhein. Dabei ist auch die schwarz-grüne Landesregierung gefordert. Doch gerade beim Thema Energieversorgungssicherheit sieht die IHK im Koalitionsvertrag noch viele Fragezeichen. Es werde zum Beispiel „nicht ausreichend auf die zu befürchtende Gasmangellage“eingegangen. „Obwohl wir hoffen, das Gas weiterhin eine Übergangstechnologie sein kann, müssen wir uns auch mit den Realitäten auseinandersetzen“, betont Steinmetz. So hätte man sich im Koalitionsvertrag offensiver zum Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken äußern müssen. „Die Gasmangellage
wird uns über einen längeren Zeitraum begleiten“, erklärt Steinmetz. Ein reines Bekenntnis zur energieintensiven Industrie auf dem Papier reiche nicht aus. „Wie man die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sichern möchte, wird jedoch nicht erläutert.“
Zwei Dinge müssen dabei Hand in Hand gehen: Kurzfristige Lösungen für die aktuell schwierige Lage und konsequente Maßnahmen, um mittel- und langfristig auf dem Weg zum Energie-Mix der Zukunft auch tatsächlich anzukommen. Kurt Vetten betont, dass nicht nur der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien
dringlich sei, sondern auch der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft vor dem Hintergrund der aktuellen Lage weiter an Bedeutung gewinne. Unter der Annahme, dass die Erdgaspreise nachhaltig hoch bleiben, müssten ab 2035 zur Vorhaltung einer gesicherten Leistung im Rheinischen Revier erste wasserstoffbetriebene Kraftwerke in Betrieb genommen werden. Beim Strom seien Unternehmen schon jetzt von Netzrückwirkungen betroffen. Daher müssten die Erneuerbaren Energieanlagen vermehrt technisch mit Eigenschaften ausgerüstet werden, die heute die konventionellen Kraftwerke erbringen – zum Beispiel die sogenannte Schwarzstartfähigkeit nach einem Netzausfall.
Vor allem bei einer „Dunkelflaute“, also in Zeiträumen, in denen die Sonne nicht scheint und weitgehend Windstille herrscht, sorge die derzeit noch nicht gesicherte Leistung von Photovoltaik und Windenergie für Probleme im Netzverbund. Netzschwankungen aber könnten zu erheblichen Produktionsausfällen und Anlageschäden führen.