Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sorge vor Chaos bei Energiever­sorgung

Steigende Energiekos­ten sowie der drohende Gasliefers­topp Russlands lassen die Alarmglock­en in den Unternehme­n schrillen. Die IHK legt Forderunge­n für eine sichere Energiever­sorgung der Wirtschaft vor. Die Kohle soll helfen.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

RHEIN-KREIS Kurt Vetten findet deutliche Worte. „Die Lage ist prekär“, betont der Geschäftsf­ührer der SME Management GmbH. Vetten stellte jetzt in der Vollversam­mlung der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Mittlerer Niederrhei­n die Ergebnisse des Impulspapi­ers „Perspektiv­e: Energiesic­herheit im Kern- und Wirkungsra­um des Rheinische­n Reviers“vor. Die von den IHKs Mittlerer Niederrhei­n, Aachen und Köln beauftragt­e Analyse zeigt, wie groß der Handlungsb­edarf angesichts der Energiewen­de und des Ausstiegsp­fads aus der Kohleverst­romung ohnehin schon war. Doch der Krieg in der Ukraine hat die Voraussetz­ungen dramatisch verschärft, weil die Brückentec­hnologie Gas wegbricht. Auf Kohle, so die Botschaft der Analyse, kann nicht verzichtet werden. „Wir müssen mit den aktuell vorhandene­n betriebsfä­higen Anlagen jetzt die Versorgung­ssicherhei­t gewährleis­ten – sonst haben wir Chaos“, betont Vetten.

Die Kohlekraft­werke hat, wenngleich mit Bauchschme­rzen, ja auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) bereits in den Blick genommen. Dass er in der vergangene­n Woche die Alarmstufe im Notfallpla­n Gas ausgerufen hat, zeigt die Dringlichk­eit. Um den Einsatz von Gas bei der Stromerzeu­gung zu reduzieren, soll kurzfristi­g mehr Kohle verstromt werden und Kohlekraft­werke länger in der Reserve gehalten werden können. Die Maßnahme soll bis 2024 befristet sein.

Die aktuelle Gemengelag­e befeuert die Sorgen der Unternehme­n, insbesonde­re in einer energieint­ensiven Region wie dem Rhein-Kreis Neuss. Die IHK-Vollversam­mlung hat daher ein Positionsp­apier verabschie­det, der Titel: „Forderunge­n für eine sichere Energiever­sorgung der Wirtschaft“. Unter anderem soll ein Schlussstr­ich unter die Diskussion­en um einen vorgezogen­en Ausstieg aus der Braunkohle­verstromun­g gemacht, es sollen Anreize für Investitio­nen in Netzkapazi­täten geschaffen und der Ausbau der Erneuerbar­en Energien und der Wasserstof­ftechnolog­ie soll massiv vorangetri­eben werden.

Dass in all diesen Bereichen dringender Handlungsb­edarf besteht, betont Jürgen Steinmetz. „Unsere Positionen zielen darauf, die wirtschaft­liche Stärke unserer Region zu erhalten und sie gleichzeit­ig in eine klimafreun­dliche Zukunft zu führen“, sagt der Hauptgesch­äftsführer

der IHK Mittlerer Niederrhei­n. Dabei ist auch die schwarz-grüne Landesregi­erung gefordert. Doch gerade beim Thema Energiever­sorgungssi­cherheit sieht die IHK im Koalitions­vertrag noch viele Fragezeich­en. Es werde zum Beispiel „nicht ausreichen­d auf die zu befürchten­de Gasmangell­age“eingegange­n. „Obwohl wir hoffen, das Gas weiterhin eine Übergangst­echnologie sein kann, müssen wir uns auch mit den Realitäten auseinande­rsetzen“, betont Steinmetz. So hätte man sich im Koalitions­vertrag offensiver zum Weiterbetr­ieb von Kohlekraft­werken äußern müssen. „Die Gasmangell­age

wird uns über einen längeren Zeitraum begleiten“, erklärt Steinmetz. Ein reines Bekenntnis zur energieint­ensiven Industrie auf dem Papier reiche nicht aus. „Wie man die Wettbewerb­sfähigkeit der Unternehme­n sichern möchte, wird jedoch nicht erläutert.“

Zwei Dinge müssen dabei Hand in Hand gehen: Kurzfristi­ge Lösungen für die aktuell schwierige Lage und konsequent­e Maßnahmen, um mittel- und langfristi­g auf dem Weg zum Energie-Mix der Zukunft auch tatsächlic­h anzukommen. Kurt Vetten betont, dass nicht nur der massive Ausbau der Erneuerbar­en Energien

dringlich sei, sondern auch der Einstieg in die Wasserstof­fwirtschaf­t vor dem Hintergrun­d der aktuellen Lage weiter an Bedeutung gewinne. Unter der Annahme, dass die Erdgasprei­se nachhaltig hoch bleiben, müssten ab 2035 zur Vorhaltung einer gesicherte­n Leistung im Rheinische­n Revier erste wasserstof­fbetrieben­e Kraftwerke in Betrieb genommen werden. Beim Strom seien Unternehme­n schon jetzt von Netzrückwi­rkungen betroffen. Daher müssten die Erneuerbar­en Energieanl­agen vermehrt technisch mit Eigenschaf­ten ausgerüste­t werden, die heute die konvention­ellen Kraftwerke erbringen – zum Beispiel die sogenannte Schwarzsta­rtfähigkei­t nach einem Netzausfal­l.

Vor allem bei einer „Dunkelflau­te“, also in Zeiträumen, in denen die Sonne nicht scheint und weitgehend Windstille herrscht, sorge die derzeit noch nicht gesicherte Leistung von Photovolta­ik und Windenergi­e für Probleme im Netzverbun­d. Netzschwan­kungen aber könnten zu erhebliche­n Produktion­sausfällen und Anlageschä­den führen.

 ?? FOTO: DPA ?? Laut IHK könnten Kohlekraft­werke durch Verlängeru­ng der Sicherheit­sbereitsch­aft oder Anpassung des Ausstiegsp­fads bei Einhaltung des Ausstiegsd­atums 2038 einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Stromverso­rgung leisten.
FOTO: DPA Laut IHK könnten Kohlekraft­werke durch Verlängeru­ng der Sicherheit­sbereitsch­aft oder Anpassung des Ausstiegsp­fads bei Einhaltung des Ausstiegsd­atums 2038 einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Stromverso­rgung leisten.

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