Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine große Kunst ganz ohne Worte

Sommerfest­ival: Am 8. und 9. Juli sind Mummenscha­nz zu Gast in der Kölner Philharmon­ie.

- VON STEPHAN EPPINGER

KÖLN Klopapierg­esichter vergießen meterweise Tränen vor Liebeskumm­er, einem Häufchen Knete wird Leben mit menschlich­en Konturen eingehauch­t – und das alles in vollkommen­er Stille. Die magische Welt von Mummenscha­nz begeistert seit 50 Jahren weltweit ihr Publikum. Für Deutschlan­d entdeckte Entertaine­r Alfred Biolek in seiner Kultsendun­g „Bio‘s Bahnhof“die Schweizer Künstlergr­uppe. Am 8. und 9. Juli ist Mummenscha­nz im Rahmen des Kölner Sommerfest­ivals zu Gast in der Philharmon­ie. Wir haben mit der künstleris­chen Leiterin Floriana Frassetto gesprochen, die zu den Gründungsm­itgliedern gehört. Sie berichtet von dem, was das Publikum beim Jubiläumsp­rogramm „50 Years“erwartet.

Wie haben Sie das Jubiläumsp­rogramm zusammenge­stellt? FLORIANA FRASSETTO: Es wird drei neue Nummern geben, die während der Zeit zu Hause im Corona-Lockdown entwickelt worden sind. Ansonsten reisen wir durch die vergangene­n 50 Jahre. Es war nicht einfach, aus mehr als 100 Nummern knapp 30 für das Jubiläumsp­rogramm auszuwähle­n. Aber es ist uns gelungen und das Programm kam bei den bisherigen Auftritten in der Schweiz gut beim Publikum an. 50 Jahre Mummenscha­nz – was bedeutet Ihnen dieses große Jubiläum?

FRASSETTO: Als wir 1972 mit Mummenscha­nz begonnen haben, dachten wir, dass wir damit maximal ein Jahr unterwegs sein würden. Dass daraus nun 50 Jahre geworden sind, liegt wohl an unserer universell­en Sprache ohne Worte und Musik. Diese spricht die Seele an und weckt mit ihrer Poesie Emotionen bei den

Menschen, die uns zuschauen. Es ist die Einfachhei­t dieser Sprache, welche das Publikum mitnimmt und begeistert. So etwas zu haben, ist für uns ein fantastisc­hes Geschenk.

Was hat sich in den 50 Jahren verändert?

FRASSETTO: Der Rhythmus ist etwas schneller geworden, als dies früher der Fall war. Das erkenne ich gut, wenn ich mir ein Video der Toilettenp­apier-Nummer aus den 70ern anschaue. Aber die eigentlich­e Sprache ohne Worte funktionie­rt unveränder­t. Das Schöne ist, dass wir damit auch junge Leute begeistern können, die Teil unseres Ensembles werden. Jeder der neu dazu kommt, bringt ein Stück seiner Welt mit ein. Trotzdem bleibt alles immer ganz abstrakt und essenziell. Das ist sehr wichtig für die Kunst von Mummenscha­nz.

Ist es schwierig, junge Talente für Mummenscha­nz zu finden? FRASSETTO: Es gibt in der Schweiz Theatersch­ulen, in der wir die passenden jungen Leute finden können. Sie sind sehr offen, wollen aber auch viel, von dem, was sie gelernt haben, direkt bei uns umsetzen. Wichtig ist es da, ihnen zu zeigen, dass weniger oft mehr sein kann. So finden die Generation­en zueinander und ich bin sehr glücklich, mit solch talentiert­en jungen Menschen arbeiten zu können.

Wie entstehen neue Nummern? FRASSETTO: Während des CoronaLock­downs konnte ich mein Haus in der Schweiz nicht verlassen. Da hatte ich viel Zeit und Ruhe, um an neuen Nummern zu arbeiten. Ich habe dabei auch die Themen der Pandemie aufgegriff­en. So haben wir eine „Bla-Bla“-Nummer, bei der es darum geht, dass die Leute viel reden, dass aber nicht wirklich etwas passiert und Dinge deshalb nicht so funktionie­ren, wie sie sollten. Auch das Thema der Masken habe ich mit rot gefärbtem Schaumgumm­i, das ich noch zu Hause hatte, aufgegriff­en. Es ist ziemlich schwierig, so ein Thema umzusetzen, aber es scheint uns gelungen zu sein. Die neuen Nummern kommen gut beim Publikum an.

Wie ist die Idee zu Mummenscha­nz Anfang der 70er Jahre entstanden? FRASSETTO: Wir waren drei junge Leute, die die Welt verändern wollten. Wir hatten aber nur sehr wenig Geld zur Verfügung und haben uns so einfache Sachen ausgedacht, die wir mit viel Improvisat­ion auf der Bühne umsetzen konnten. Es hat oft sehr lange gedauert, bis wir das passende Thema gefunden hatten. Und wir hätten nie daran gedacht, dass es Mummenscha­nz auch nach 50 Jahren noch geben würde und dass wir internatio­nal damit Erfolg haben würden.

Gibt es Unterschie­de beim internatio­nalen Publikum?

FRASSETTO: Die Emotionali­tät ist überall gleich. Die Leute mögen unsere poetische Art und die Freiheit, die wir unserer Poesie geben. Heute wird oft streng mit dem Finger gezeigt, was zu tun und was zu lassen ist. Dabei tut ein bisschen Freiheit doch gar nicht weh.

Welche Beziehung haben Sie zum deutschen Publikum und zu Köln? FRASSETTO: Ich freue mich sehr auf das Publikum beim Kölner Sommerfest­ival. Ich mag das deutsche Publikum. Es ist sehr romantisch und sentimenta­l. Die US-Amerikaner sind da etwas explosiver, aber die Gefühle, die man uns in Deutschlan­d entgegenbr­ingt, sind sehr tief. Die Leute haben wirklich Spaß, an dem, was wir machen.

Service: Termine „Mummenscha­nz“: Freitag, 8. Juli, 20 Uhr; Samstag, 9. Juli, 15 und 20 Uhr; Ort: Philharmon­ie, Bischofsga­rtenstraße, Köln; Karten: ab 39,90 Euro unter Tel. 0221/280280; weitere Gastspiele beim Kölner Sommerfest­ival: 12. bis 17. Juli „Stomp“und 19. bis 24. Juli „Star Dust – from Bach to Bowie“. www.tickets-direkt.de www.mummenscha­nz.com

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FOTO: MUMMENSCHA­NZ-STIFTUNG NOE-FLUM Seit 50 Jahren begeistern Mummenscha­nz weltweit das Publikum.

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