Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der Krieg macht keine Sommerpause
Das Erschrecken über den russischen Angriffskrieg weicht in der gesellschaftlichen Wahrnehmung im Westen zunehmend einer erschreckenden Gewöhnung. Manche schauen nicht mehr hin, weil sie die immer neuen Bilder von Angriffen auf arglose Menschen in ihren Wohnungen nicht mehr aushalten. Andere sehen im Osten nichts Neues angesichts der weitgehend festgefahrenen Frontverläufe. Nach den coronabedingten Freizeitentwöhnungen genießen die Europäer die Erholung am Meer und in den Bergen umso begieriger. Da tritt der Krieg subjektiv für viele hinter ihre Alltagsbeschäftigungen zurück. Aber er macht keine Sommerpause.
Er ist in der Phase des längeren Atems angekommen. Auf Dauer kann Russland mehr Nachschub organisieren, als die Ukraine mit ihrem jetzigen Stand von Ausbildung und Ausrüstung abzuwehren vermag. Der kriegslüsterne Kremlherrscher setzt zudem darauf, dass sich der freie Westen als verwundbarer gegenüber sich zuspitzender Krisen erweisen wird als das eigene Zwangsregime.
Deshalb ist in der Tat jetzt der richtige Zeitpunkt für eine deutsche Ukraine-Bestandsaufnahme, wie sie die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes StrackZimmermann vorgeschlagen hat. Was kann, was sollte, was muss Deutschland jetzt und in nächster Zeit tun, um im Schulterschluss mit anderen Nato- und EU-Staaten die Ukraine so zu stärken, dass sie die russischen Angriffe stoppen kann? 77 Jahre Frieden verdankt Deutschland der europäischen Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, nie wieder Waffen, Vernichtung und Verbrechen an die Stelle von Verhandlungen, Ausgleich und Recht treten zu lassen. Deshalb werden die Herausforderungen für den Westen wachsen – weit über das Ausmaß bisher geleisteter Unterstützung für die Ukraine hinaus.