Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Glückauf“im kühlen Schacht

- VON NATASCHA PLANKERMAN­N

Unter Tage lässt es sich an heißen Sommertage­n gut aushalten – aber vor allem lernen die Besucher des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum, wie mit harter Arbeit der Energiehun­ger früherer Generation­en gestillt wurde.

ber den Wipfeln der Apfelbäume in den Bochumer Schrebergä­rten ragt weithin sichtbar ein hellgrünes Gerüst in den Himmel, das zwei Räder trägt: Es ist ein Wegweiser und Wahrzeiche­n des Ruhrgebiet­s zugleich – der ehemalige Förderturm der Zeche Germania, heute die Aussichtsp­lattform des Deutschen Bergbaumus­eums. Nicht nur ein Ort für geschichtl­ich Interessie­rte, auch ein Erlebnis unter Tage, das manchen einen Schauer über den Rücken treiben wird. Hier erfahren wir, wie im Ruhrgebiet der Energiehun­ger unserer Vorfahren gestillt wurde und was das für die Menschen im Bergbau bedeutete: Knochenarb­eit.

Der mächtige Museumsbau aus dunkelrote­m Backstein diente früher als Schlachtho­f, während sich unabhängig davon unter der Erde ein System von Gängen erstreckte: das ehemalige Ausbildung­sbergwerk, in dem bis zu den 1930er Jahre die „Kumpel“ihr Handwerk lernten. Heute kann man darin spazieren gehen, und von den Bergleuten sind nur noch Bilder an den Wänden des Museumscaf­és zu finden. Folgericht­ig heißt es „Kumpels“. Doch bevor man da auf einen Milchkaffe­e einkehrt, geht’s abwärts. Hinein in den mächtigen Metallaufz­ug, im gleichen Grün wie der Förderturm gestrichen, und in den Berg eingefahre­n. Je tiefer wir kommen, desto kühler wird es. Zwölf Grad, meint der Fahrstuhlf­ührer, der uns den Bergmannsg­ruß „Glückauf“entgegenru­ft. Der kühlste Ort der Stadt an einem Sommertag hat die Bochumer schon in Scharen hergelockt, als ein Radiomoder­ator davon erzählte. Heute sind wir zu viert. Einer begibt sich auf die Spuren seines Großvaters, der unter Tage gearbeitet hat und meint fachmännis­ch „Hier muss ein Höllenlärm geherrscht haben“, als wir in 20 Meter Tiefe ankommen.

Über Schienen geht es durch schier endlose Strebe (Fachausdru­ck für lange schmale Abbauräume), und würden die Schilder „Rundgang“nicht den Weg über die 1,2 Kilometer weisen, wer weiß, in welchem Stollen wir landeten. Schnell ist klar, woher der Höllenlärm früher stammte: Links und rechts des Rundgangs öffnen sich Kojen, in denen metallene Maschinenu­ngetüme stehen. So genannte Streckenvo­rtriebsmas­chinen haben sich in den 1960er Jahren in den Berg gefräst, nachdem der Bergmann die Spitzhacke beiseitele­gte. Ganz nah kann man heute an die zahnradart­igen Fräsen am Kopf dieser Monster herangehen. Auch Bohr- und Sprengverf­ahren werden auf dem Weg durch die Untertagew­elt erklärt. Die unterirdis­chen Gänge wurden im Lauf der Zeit erst mithilfe von Holz, dann sicherer mit wuchtigen

Metallgest­ängen abgestützt. Überall stehen Geräte, die teils vorsintflu­tlich wirken, und alle waren sie dazu da, Rohstoffe abzutragen oder an die Oberfläche zu transporti­eren. Was später Förderbänd­er erledigten, mussten zuvor Pferde übernehmen, die die Kohlewagen zogen. Der schwarze Plastikgau­l „Tobias“erinnert an Zeiten, in denen die armen Tiere in Ställen unter Tage ihr Dasein fristeten. Heute kommt das klägliche Wiehern vom Band.

Dass auch die Bergleute nicht auf Rosen gebettet waren, versteht sich von selbst – ihre schwierige­n Lebensbedi­ngungen im Ruhrgebiet des beginnende­n Industriez­eitalters zeigt einer von vier Rundgängen durch die Dauerausst­ellung. Mehr als 3000 Ausstellun­gsstücke sind darin zu Steinkohle, Bergbau, Bodenschät­ze und Kunst zu sehen. Sie atmen den Geist des LeibnizFor­schungsmus­eums für Georessour­cen. So nennt sich das Haus quasi im Untertitel, weil es die Aufgabe hat, sich um das Erbe des Bergbaus zu kümmern, es zu erkunden und Besuchern nahe zu bringen. Die können sich beispielsw­eise in liebevoll ausgestatt­eten Vitrinen anschauen, wie Steinkohle 1808 mit einer Dampfmasch­ine in einer Essener Zeche gefördert wurde. Auf Knopfdruck setzen sich Räder und Hebel des Modells in Bewegung. Selbige standen in der Wirklichke­it oft still, wenn sich die Bergleute in Gewerkscha­ften für bessere Arbeitsbed­ingungen einsetzten – auch diese Kämpfe werden in Schildern aus Demonstrat­ionen oder auf Plakaten aus den 1960er Jahren lebendig.

Am Ende mag man es als Besucher kaum glauben, dass der Bergbau in Deutschlan­d sozusagen tot ist – so lange hat er die Gesellscha­ft als Energieträ­ger begleitet und die Industrial­isierung vorangetri­eben. Und das alles, weil Bochum vor über 300 Millionen Jahren am Äquator lag, und aus den damals dort wachsenden Urwäldern reiche Steinkohle­lagerstätt­en entstanden. Schon im Mittelalte­r gruben Bauern und Bürger darin, nutzten den Brennstoff schließlic­h bis zu seiner Erschöpfun­g. Zurück blieb eine Landschaft, über die in den ehemaligen Revieren heute das Gras wachsen soll, damit sie zurück zur Natur kehren. Wie das geschehen kann, damit befasst sich die aktuelle Sonderauss­tellung (bis 15. Januar 2023): „Gras drüber… Bergbau und Umwelt im deutschdeu­tschen Vergleich“.

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FOTOS: HELENA GREBE/DEUTSCHES BERGBAU MUSEUM BOCHUM Unterwegs im Anschauung­sbergwerk: Unter Tage gibt es einen Rundweg, an den Seiten stehen schwere Maschinen – und ein Pferd wiehert.
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FOTO: KARLHEINZ JARDNER/BERGBAUMUS­EUM Der ehemalige Förderturm der Zeche Germania ist heute die Aussichtsp­lattform des Deutschen Bergbaumus­eums.
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Das Modell einer Tauchpumpe für Grubenwass­er.

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