Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Die letzte Verantwortung trägt immer der Mensch“
Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, behandelte in seinem Buch die Ethikfragen der Digitalisierung.
Herr Huber, Sie setzen sich in Ihrem Buch mit den Gefahren der Digitalisierung auseinander. Warum? HUBER Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung eine technische und technologische Innovation ist, die man akzeptieren, mit der man umgehen und die man weiterentwickeln muss. Ich halte es aber für notwendig, dabei nicht nur die Chancen, sondern ebenso auch die Risiken der Digitalisierung zu thematisieren. Ich tue das auf der Basis, dass ich weder Euphorie noch Apokalyptik für die richtige Umgangsweise mit diesen technischen Möglichkeiten halte, sondern etwas, was man vielleicht als „pragmatische Verantwortungsethik“bezeichnen kann.
In Ihrem Buch warnen Sie davor, dass die Maschinen oder Künstliche Intelligenz irgendwann die
Kontrolle über den Menschen gewinnen könnte.
HUBER Und zwar deswegen, weil der Mensch selber diese Kontrolle bereits preisgibt. Das fängt schon bei der Wortwahl an: „Künstliche Intelligenz“halte ich für eine ganz unglückliche Begriffsprägung. Sie stammt aus der Mitte der 50erJahre des letzten Jahrhunderts. Aber sie wird dadurch nicht besser. Man denkt immer gleich, diese künstliche Intelligenz sei eine Alternative zur natürlichen Intelligenz des Menschen. Aber die menschliche Intelligenz ist verkörperte Intelligenz: Sie ist deswegen etwas vollkommen anderes als die Intelligenz
einer Maschine oder eines Geräts.
Was bedeutet denn Verantwortung in dem Zusammenhang?
HUBER Verantwortung im neuzeitlichen Sinn setzt voraus, dass der Mensch für sich Autonomie in Anspruch nimmt. Das heißt: Er hat selber zu verantworten, nach welchen Regeln er das eigene Leben gestaltet und Instrumente nutzt, die er bei der Gestaltung des eigenen Lebens zu Hilfe nimmt. Diese Autonomie des Menschen ist auch für ein christliches Verständnis ein unentbehrliches Grundelement, denn wir sind davon überzeugt, dass der Mensch mit Würde begabt ist. Deswegen muss er diese Würde bei anderen achten, aber auch für sich selbst zur Grundlage seines Handelns nehmen. Es ist einer der großen Irrwege der gegenwärtigen Debatte, den Begriff der Autonomie auf digitale Instrumente zu übertragen und von autonomen Autos oder, was ich noch schlimmer finde, von autonomen Waffen zu sprechen.
Trotzdem könnte eine Entwicklung dahin gehen, dass Computer Waffen steuern, Autos steuern, ohne dass der Mensch eingreifen kann. HUBER Erstens muss man überprüfen, ob dieser Ausschluss des Eingreifens des am Ende doch verantwortlichen Menschen wirklich der richtige Weg ist. Zweitens muss man ganz klar sagen: Die Regeln, nach denen ein solches Fahrzeug automatisiert bestimmte Aktivitäten vornimmt, sind von Menschen vorgegeben, die es zu verantworten haben, wie dieses Auto agiert. Es kann keine Abgabe der Verantwortung vom Menschen auf das Gerät geben.
Ein Thema, was Sie angesprochen haben, ist die Möglichkeit, Programme und Systeme zu unterbrechen. Warum ist das bedeutsam? HUBER Nur wenn es eine solche Unterbrechung gibt, können Menschen verhindern, dass Automatismen einfach weiterlaufen, obwohl sie gar nicht intendiert sind und obwohl sie unter Umständen gar nicht verantwortbar sind.
Wenn die Bedeutung digitaler Intelligenz weiter zunimmt und der Mensch weiter schöpferisch tätig wird, welche Rolle spielt Gott noch? HUBER Für Menschen, die sich damit auseinandersetzen und bemühen, menschliche Intelligenz in ihrer eigenen Bedeutung von der digitalen Intelligenz zu unterscheiden, ist es sehr wichtig, sich klar zu machen, dass sie nicht selbst ein Apparat sind. Sie sind ein lebendiges körperliches Wesen, das in Beziehungen lebt: zu sich selbst, zu Anderen, zur Welt und zu Gott. In der Beziehung zu Gott bündelt sich die Erfahrung, dass uns das Leben als Geschenk anvertraut ist und dass wir zur Freiheit berufen sind. Diese Form, über den Menschen nachzudenken, wird nicht außer Kraft gesetzt dadurch, dass die Möglichkeiten digitaler Instrumente wachsen. Das Besondere am Menschen bleibt es, sein Leben als ein Leben in Beziehungen zu verstehen und damit auch seine Verantwortung in diesen Beziehungen wahrzunehmen.