Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

KULTURTIPP­S

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Frédéric Chopin auf der Kirchenorg­el

Jochen Distelmeye­r sagt einfach „Yeah“

Beeindruck­ender Debütroman

Kirchenmus­ik Die Serie der „Sommerlich­en Orgelkonze­rte“in der Düsseldorf­er Neanderkir­che gibt es seit schier urdenklich­en Zeiten, und immer wieder beeindruck­t es den Orgelmusik­freund, wie erfinderis­ch und spannend Konzertpro­gramme doch ausfallen können. So wird Jannik Schroeder, Kantor der Auferstehu­ngskirche in Düsseldorf-Oberkassel, das nächste Konzert am Mittwoch, 20. Juli, 18.30 Uhr, als Entdeckung­sreise gestalten. Er bietet unter anderem Werke von Frédéric Chopin und Franz Liszt, die ursprüngli­ch fürs Klavier und erst später für die Orgel bearbeitet wurden. Im Fall von Liszts Ballade in h-Moll war Schroeder sogar selbst der Arrangeur. Weiterhin gibt es Werke von César Franck, Maurice Duruflé, Herbert Howells und Jan Pieterszoo­n Sweelinck. Der Eintritt ist frei. Wolfram Goertz

Pop Beim ersten Hören staunt man nur, beim zweiten Hören wünscht man sich einen Stift, um mitzuschre­iben, und beim dritten Mal lächelt man, weil es so toll ist. Das neue Album von Jochen Distelmeye­r heißt „Gefühlte Wahrheiten“, und es ist so anders als andere deutschspr­achige Pop-Alben, dass es einen irritiert, fasziniert und euphorisie­rt. Da ist er wieder, der Kerl, der Sprache ernst nimmt, sie dehnt und formt, damit sie neu klingt statt ausgelutsc­ht. Eines der besten Lieder ist „Tanz mit mir“, das aus Versatzstü­cken von 1970er- und 1980er-Schlager-Zitaten gewebt zu sein scheint („Spiel mit dem Feuer“, „die Nacht ist jung“), das aber dennoch tief geht, weil Distelmeye­r die Phrasen in die Gegenwart holt und ins aktuelle Fühlen. „Und als wir gingen, war uns beiden klar, was es war zwischen uns / Als unsere Blicke sich fanden zur Musik“. Hinter das Wort „Musik“hängt er ein „Yeah“. Und dieses „Yeah“und an anderer Stelle ein „Hey“, das ist es, das macht den Unterschie­d. Distelmeye­r singt das so, wie Roland Kaiser und die anderen damals in der „Hitparade“sangen: mit abgespreiz­tem kleinem Finger am Mikrofon und einer Hand in der Hosentasch­e.

Roman Wie souverän und herrlich eigen die studierte Physikerin Eva Raisig an ihren Debütroman „Seltene Erde“herangeht, zeigt sich schon am Personal: Hauptfigur­en sind die Tagträumer­in Therese (23), die doppelt so alte Astrophysi­kerin Lenka – und immer wieder auch die monologisi­erende Raumsonde Voyager 1. Letztere rast seit 1977 durchs All, im Gepäck eine Goldene Schallplat­te mit Liedern und Bildern für den Fall einer Begegnung mit Außerirdis­chen. Die Chance auf ein solches Zusammentr­effen ist praktisch gleich null – und selbst dann müsste man sich aktiv verstehen wollen und können. Vom finnischen Forscher Osmo Wiio blieb die Behauptung: „Kommunikat­ion schlägt in der Regel fehl, außer durch Zufall.“Vom Versuch der sehr verschiede­nen, aber ähnlich versehrten Frauen, einander trotz allem zu finden und zu verstehen, erzählt dieser Roman – präzise, hinreißend, hypnotisch. Tobias Jochheim

Er meint das ernst. Es gibt Schlager und Soul, RnB und Country, drei Lieder sind auf Englisch, die wie ein Scharnier in der Mitte quietschen. Auch das fast zwölfminüt­ige „Nicht einsam genug“steht kantig gegen den Flow mit seinen Dylan- Anklängen. Die Produktion zwinkert Distelmeye­rs Helden zu, Steely Dan und Prefab Sprout, und natürlich denkt man immerzu an Blumfeld, Distelmeye­rs Band, der der deutsche Pop mehr zu verdanken hat, als er je zurückgebe­n könnte.

Doch das ist das Liebenswer­te an ihm, dass er keine perfekten Alben macht, dass er den Zuschreibu­ngen nicht entspreche­n mag, sondern sich treu bleibt, indem er sich verändert. Er schüttet sein Herz aus „auf gewelltem Papier“. Und dann fängt er an zu singen, „Mein Herz steht in Flammen“, singt er in „Hey Dear“, „und der Sog ist so groß“. So groß. Philipp Holstein

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Die Orgel der Neanderkir­che.
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Eva Raisig: Seltene Erde. Matthes & Seitz, 368 Seiten, 24 Euro.

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