Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Zerschossenes Abkommen
Nur einen Tag alt war das mühsam geschlossene Abkommen mit Russland zur Getreideausfuhr, da schlugen in der ukrainischen Hafenstadt Odessa Raketen ein, obwohl das Abkommen Angriffe auf ukrainische Schiffe und Häfen ausschließt, die am Export beteiligt sind. Erst wiegelte Russland ab, dann hieß es, militärische Infrastruktur sei das Ziel gewesen. Die Botschaft ist klar: Moskau folgt weiter der Terrorlogik, Angst und Schrecken zu verbreiten, unberechenbar zu bleiben, Vereinbarungen mit Füßen zu treten. Es ist verständlich, dass der ukrainische Präsident daraus den Schluss zieht, dass Putins Russland generell zu keinerlei Abkommen fähig ist. Wolodymyr Selenskyj sagte das an die Adresse jener gerichtet, die der Ukraine nahelegen, Territorien an Russland abzugeben, um ein Ende des Kriegs zu erreichen. Solange in Moskau ein Herrscher regiert, der allein destruktiven Mustern folgt, sind in Selenskyjs Augen Abkommen sinnlos. Denn sie wären wohl nicht viel mehr als eine Vorlage für weitere Zerstörung.
Doch sosehr man Selenskyj in der Diagnose zustimmen mag, welche Perspektive folgt daraus? In seiner Logik kann es erst ein Ende des Kriegs geben, wenn Putin „erledigt“ist. Doch wie lange das dauert und vor allem, ob es überhaupt dazu kommt, weiß niemand. Darum ist es womöglich ein realistisches Szenario, dass die Ukraine irgendwann ein Abkommen mit Russland schließen muss – ohne Hoffnung auf Entspannung oder gar Rückkehr von Normalität. Vielmehr wird weiter von einem Gegner auszugehen sein, dessen destruktive Energie nur durch ernst zu nehmendes Androhen von Gegenwehr in Schach zu halten sein wird. Dafür wird auch der Westen mit der Nato einstehen müssen. Natürlich muss über all das die Ukraine entscheiden. Und natürlich wäre das kein Frieden. Es ist die bittere Perspektive, nachdem Russland ein Abkommen unter Beschuss nahm, das es gerade erst geschlossen hatte.