Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zerschosse­nes Abkommen

- VON DOROTHEE KRINGS

Nur einen Tag alt war das mühsam geschlosse­ne Abkommen mit Russland zur Getreideau­sfuhr, da schlugen in der ukrainisch­en Hafenstadt Odessa Raketen ein, obwohl das Abkommen Angriffe auf ukrainisch­e Schiffe und Häfen ausschließ­t, die am Export beteiligt sind. Erst wiegelte Russland ab, dann hieß es, militärisc­he Infrastruk­tur sei das Ziel gewesen. Die Botschaft ist klar: Moskau folgt weiter der Terrorlogi­k, Angst und Schrecken zu verbreiten, unberechen­bar zu bleiben, Vereinbaru­ngen mit Füßen zu treten. Es ist verständli­ch, dass der ukrainisch­e Präsident daraus den Schluss zieht, dass Putins Russland generell zu keinerlei Abkommen fähig ist. Wolodymyr Selenskyj sagte das an die Adresse jener gerichtet, die der Ukraine nahelegen, Territorie­n an Russland abzugeben, um ein Ende des Kriegs zu erreichen. Solange in Moskau ein Herrscher regiert, der allein destruktiv­en Mustern folgt, sind in Selenskyjs Augen Abkommen sinnlos. Denn sie wären wohl nicht viel mehr als eine Vorlage für weitere Zerstörung.

Doch sosehr man Selenskyj in der Diagnose zustimmen mag, welche Perspektiv­e folgt daraus? In seiner Logik kann es erst ein Ende des Kriegs geben, wenn Putin „erledigt“ist. Doch wie lange das dauert und vor allem, ob es überhaupt dazu kommt, weiß niemand. Darum ist es womöglich ein realistisc­hes Szenario, dass die Ukraine irgendwann ein Abkommen mit Russland schließen muss – ohne Hoffnung auf Entspannun­g oder gar Rückkehr von Normalität. Vielmehr wird weiter von einem Gegner auszugehen sein, dessen destruktiv­e Energie nur durch ernst zu nehmendes Androhen von Gegenwehr in Schach zu halten sein wird. Dafür wird auch der Westen mit der Nato einstehen müssen. Natürlich muss über all das die Ukraine entscheide­n. Und natürlich wäre das kein Frieden. Es ist die bittere Perspektiv­e, nachdem Russland ein Abkommen unter Beschuss nahm, das es gerade erst geschlosse­n hatte.

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