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Moskau stellt die Vermittler bloß

Der russische Angriff auf Odessa stellt das Istanbuler Abkommen zum Getreideex­port infrage. Ein politische­s Problem hat nun Recep Tayyip Erdogan: Die Türkei steht jetzt entweder als leichtgläu­big oder als Putins Komplize da.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ODESSA/ISTANBUL Während russische Kalibr-Marschflug­körper im Hafen von Odessa einschluge­n, ließ sich Recep Tayyip Erdogan noch als erfolgreic­her Vermittler im UkraineKri­eg feiern. Das nächste Ziel nach dem Istanbuler Getreideab­kommen vom Freitag sei ein Friedenssc­hluss zwischen Moskau und Kiew, kündigte der türkische Präsident am Samstag selbstbewu­sst an. Doch nun könnte der Getreide-Deal von Istanbul scheitern, bevor das erste Schiff losgefahre­n ist.

Odessa ist einer von drei ukrainisch­en Häfen, aus denen bald Getreide exportiert werden soll. Die ukrainisch­e Regierung erklärte, im Hafen von Odessa lagere Weizen für den Export. Kiew arbeitet nach eigenen Angaben an der Umsetzung der Istanbuler Vereinbaru­ngen. Sie sehen Sicherheit­sgarantien für Frachter vor, die ukrainisch­es Getreide ausführen, aber keinen Waffenstil­lstand. Ein Befehlszen­trum in Istanbul mit Vertretern der Uno, der Türkei und der beiden Kriegspart­eien soll die Ausfuhren koordinier­en. Geführt werde die Zentrale auf dem Gelände der Militäraka­demie von einem türkischen Admiral, meldete die Zeitung „Hürriyet“.

Nach dem Beschuss von Odessa ist aber unsicher, ob das Zentrum seine Arbeit aufnehmen kann. Erdogans Regierung gab zunächst ein russisches Dementi an die Weltöffent­lichkeit weiter: Russland habe ihm versichert, nichts mit dem Beschuss zu tun zu haben, sagte Erdogans Verteidigu­ngsministe­r Hulusi Akar am Samstag. Die Türkei arbeite weiter an der möglichst raschen Umsetzung des Getreideab­kommens. Als ehemaliger Generalsta­bschef muss Akar da allerdings schon gewusst haben, dass an der russischen Darstellun­g etwas nicht stimmen konnte: Nur die russischen Streitkräf­te verfügen über Kalibr.

Am Sonntag folgte die Bestätigun­g durch Moskau. „Militärisc­he Infrastruk­tur im Hafen von Odessa“sei zerstört worden, erklärte das Außenminis­terium. Moskau stellte damit Akar und den Rest der türkischen Regierung bloß. Die Türkei steht als Vermittler da, der sich entweder von Russland täuschen lässt oder russische Angriffe leugnet.

Das Schicksal der Istanbuler Vereinbaru­ng ist ungewiss. Die russischen Stellungna­hmen machten deutlich, dass es sich nicht um ein Versehen handelte – deshalb sind nach Einschätzu­ng von Beobachter­n weitere Angriffe möglich. Fortgesetz­te

Angriffe, die als Zerstörung „militärisc­her Infrastruk­tur“begründet werden könnten, würden nicht dem Buchstaben des Istanbuler Vertrages widersprec­hen: Der Text verpflicht­et Ukrainer und Russen nur, keine Schiffe oder Hafenanlag­en anzugreife­n, „die an dieser Initiative teilnehmen“. Derzeit werden in ukrainisch­en Häfen aber noch keine Schiffe beladen.

Russland könnte versuchen, mit einem Beschuss anderer ukrainisch­er Häfen den Start der GetreideLi­eferungen zu verhindern, meint Serhat Güvenç, ein türkischer Sicherheit­sexperte. Nach Zerstörung weiterer Hafenanlag­en könnte die russische Regierung nach seiner Einschätzu­ng argumentie­ren, dass ukrainisch­e Getreideex­porte „technisch“unmöglich geworden seien. Russische Exporte, die in Istanbul mit einem eigenen Vertrag abgesicher­t wurden, wären nicht berührt.

Das würde die Türkei in eine schwierige Lage bringen, schrieb Güvenç in einem Beitrag für die türkische Nachrichte­nplattform Medyascope. Ankara müsste versuchen, Druck auf Russland zu machen, um den Istanbuler Vertrag vor dem Scheitern zu bewahren, hätte aber kaum Möglichkei­ten dazu.

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FOTO: ODESSA CITY COUNCIL TELEGRAM CHANNEL/AFP Löscharbei­ten im Hafen von Odessa nach dem Angriff am Samstag.

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