Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eingeklemmt zwischen Covid, Krieg und Überalterung
Es fehlt an Kapazitäten, vor allem aber an Fahrern: Nicht zuletzt durch Russlands Angriff steht die Logistikbranche unter Druck. Das Verkehrsministerium hat inzwischen reagiert.
BERLIN Schon Mitte März zeichnete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Oliver Luksic (FDP), im Verkehrsausschuss des Bundestags ein düsteres Bild. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland hätten massive Auswirkungen auf die Transport- und Logistikbranche in Deutschland, die Lage sei gefährlich, so Luksic. Erst die Pandemie, jetzt der Krieg: Die Logistik-Branche steckt im Stresstest – es fehlt vor allem an Fahrern und Kapazitäten. Auch um die Energiepläne der Regierung umzusetzen. In der Koalition knirscht es deshalb bereits.
Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Spedition und Logistik, bestätigt die Probleme: Man sei derzeit „eingeklemmt zwischen Inflation, Energieknappheit, Frachtraummangel, Überalterung, Covid-Bewältigung und Dekarbonisierung – bei weltweit hoher Güterverkehrsnachfrage“. Die negativen Auswirkungen des Ukraine-Krieges setzten die ohnehin gestressten Lieferketten zusätzlich unter Druck. So lägen etwa Seecontainerraten, also Transportkosten, mit mehr als 12.000 USDollar für einen 20-Fuß-Container auf der Verbindung Fernost–Europa weiter auf Rekordniveau, sagte Huster unserer Redaktion. Die sanktionsbedingten Sperrungen des russischen Luftraums hätten zudem die weltweite Luftfrachtkapazität um bis zu ein Fünftel reduziert.
„Sämtliche Verkehrsträger fahren derzeit unter Volllast, Frachtraum ist Mangelware, Umschlag- und Lagerkapazitäten sind ausgelastet“, so der Experte. Hinzu kommen hohe Kraftstoffpreise. Huster weiter: „In Deutschland wird die Logistik außerdem durch die marode Straßenund Schienenverkehrsinfrastruktur ausgebremst.“Vor allem aber fehle den Speditionshäusern „Personal sämtlicher Qualifikationsstufen“, ergänzte der Hauptgeschäftsführer.
Bereits vor dem Krieg in der Ukraine galt der Mangel an Berufskraftfahrern als eines der drängendsten Probleme der Logistikbranche. Durch den Krieg stehen nun noch weniger Fahrer zur Verfügung, denn viele stammen aus der Ukraine, Russland und Belarus. Laut Ergebnissen der jüngsten Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags klagen mittlerweile 73 Prozent der Unternehmen über Personalprobleme. „Um den Bedarf zu decken, bräuchte es derzeit allein in Deutschland 60.000 bis 80.000 zusätzliche Fahrer“, betont der Handelskammertag.
Zumindest darauf hat die Bundesregierung bereits reagiert und bei der EU Druck gemacht. „Es gibt nun Erleichterungen hinsichtlich ukrainischer Führerscheine und Lkw“, sagte Luksic unserer Redaktion. Flüchtende aus der Ukraine müssen demnächst ihren Führerschein zunächst nicht in einen EU-Führerschein umtauschen. Zudem sollen Kraftfahrerqualifikationen europaweit anerkannt werden.
Die Sanktionen gegen Russland treffen den Verkehrssektor in Deutschland nach den Ausführungen Luksics aber auch noch in anderen Bereichen. So sei die Automobilindustrie durch die längeren Lieferwege für Chips von den asiatischen Märkten betroffen. Hinzu kommen die Energiepläne der Regierung. Insbesondere der Rückgriff auf die Kohle ist nicht nur wegen niedriger Flusspegel, sondern auch logistisch eine Herausforderung. „Für die Gewährleistung der kurzfristigen Energiesicherheit ist die Versorgung der Kohlekraftwerke von großer Bedeutung“, betont Luksic zwar. Doch in den vergangenen Jahren seien wegen des Kohleausstiegs Kapazitäten für Transport und Lagerung von Kohle abgebaut worden. Zugleich seien die Lieferketten durch die Pandemie und den Verkehr von Hilfsgütern und Nahrungsmitteln hinsichtlich der Ukraine bereits stark belastet, so der Staatssekretär. Kurzum: Das Fehlen von Waggons, die anderweitige Bindung von Kapazitäten und die Belastung der Netze erschweren den Rückgriff auf den eigentlich längst abgeschriebenen Energieträger (siehe dazu auch den Text rechts).
Kritik an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kann sich der FDP-Mann dann auch nicht verkneifen. Dessen Pläne „zur Vorfahrt für Kohle allein werden nicht genügen. Energieversorger, Logistiker, Bund und Länder sind gemeinschaftlich gefragt und müssen agieren“, fordert Luksic.