Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Ich werde wenig Lob ernten“
Der neue Verkehrs- und Umweltminister über große Baustellen, Radwege und die Symbolkraft wilder Wölfe.
Herr Minister, was wollen Sie als Umwelt- und Verkehrsminister in NRW erreichen?
KRISCHER Die Themen Verkehr und Umwelt zusammenzubringen für die Transformation zu einer klimafreundlichen, nachhaltigen Gesellschaft. Wir brauchen Radwege, Schienenverkehr, einen guten öffentlichen Nahverkehr. Das hinzukriegen, bei gleichzeitiger Einhaltung von Umweltstandards, die wir noch verbessern wollen, ist eine wahnsinnig spannende Aufgabe.
Pläne für neue Straßen sollen bis Anfang 2023 auf den Prüfstand kommen – und werden dann gegebenenfalls beerdigt?
KRISCHER Viele Projekte sind aus Umwelt- und Klimaschutzgründen nicht mehr sinnvoll, oft wollen die Kommunen sie gar nicht mehr. Das werden wir neu bewerten. Wir stellen den Landesstraßenbedarfsplan neu auf – und wir werden uns sehr genau angucken, was noch realisiert wird. Unser neues und sehr wichtiges Prinzip ist: Erhalt geht vor Neubau. Die Brücken, Straßen, Eisenbahnstrecken, die wir schon haben, die müssen wir erst mal sanieren, bevor wir viel Geld für Neubauten ausgeben. Das hat Priorität.
Wie schlimm ist denn die Lage beim Sanierungsstau?
KRISCHER Herausfordernd. Die Versäumnisse der Vergangenheit holen uns jetzt massiv ein. Ich will da auf niemanden zeigen – das sind Fehler, die alle Parteien über Jahrzehnte hinweg gemacht haben. Es ist halt immer schöner, etwas Neues einzuweihen und ein Band durchzuschneiden, als etwas zu reparieren. Aber dabei hat man die Infrastruktur vernachlässigt. Das wird meine Amtszeit wahrscheinlich prägen. Wir werden sehr viel sanieren, und ich werde wenig Lob ernten und viel Ärger, weil es ständig Baustellen und Streckensperrungen gibt. Wie viel das kosten wird, kann man überhaupt noch nicht sagen. Aber natürlich reden wir über Milliarden.
Priorität sollen auch neue Radwege haben, werden jetzt überall welche gebaut?
KRISCHER Es wird mindestens so viel Geld in Radwege investiert wie in Straßenausbau. Und das heißt: Es gibt ziemlich viele Radwege. Wobei die Planung schneller und einfacher werden muss.
Kommen jetzt auch Pläne für andere flächenverzehrende Projekte auf den Prüfstand, etwa für neue Gewerbe- und Industriegebiete? KRISCHER Wir müssen uns auch dabei fragen: Was ist noch zeitgemäß? Wir haben nach wie vor einen viel zu großen Flächenverbrauch. Und die Folgen merken wir beim Hochwasser und bei der Klima-Folgen-Anpassung. Wir wollen, dass man in Gewerbegebieten mehrgeschossig baut, statt riesige Areale zu belegen. Und wir wollen Industriebrachen nutzen, statt auf die grüne Wiese zu gehen und damit landwirtschaftliche Nutzflächen zu zerstören.
Wie stehen Sie denn zum Wolf? KRISCHER Es ist ja eigentlich schön, dass der Wolf Europa jetzt wieder überall besiedelt. Bei so einer Art, die Symbolkraft hat und in der Landwirtschaft Probleme verursacht, führt das natürlich zu Diskussionen. Da muss man ruhig und sachlich kommunizieren und Schutzmaßnahmen ergreifen, wo es Risse gibt. Es gibt viele Gegenden auf der Welt, in denen Menschen und Wölfe vernünftig zusammenleben. Ich glaube, dass das auch in NordrheinWestfalen
geht. Und dass wir die Konflikte – da, wo es sie gibt – auch gelöst bekommen.
Was wollen Sie bei dem Thema anders machen als die frühere Umweltministerin?
KRISCHER Ich sehe nicht, dass wir grundsätzlich etwas anders machen werden. Der Wolf ist eine geschützte Art, es gibt rechtliche Rahmenbedingungen. Und wir haben gute Regeln für Entschädigungen, Strukturen für Beratung, eine neue Wolfsverordnung. Jetzt müssen wir erst mal schauen, ob das funktioniert.
Sie planen ein Landesprogramm für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Wie erhalten Sie die, und was darf es kosten?
KRISCHER Wenn es nach dem Umweltminister geht, gäbe es beim Geld keine Grenze nach oben. Wir haben jedenfalls vereinbart, den
Naturschutzetat von rund 38 auf etwa 76 Millionen Euro zu verdoppeln, damit setzen wir ein Zeichen. Wir brauchen mehr Betreuung und Pflege in den Schutzgebieten. Viele sind vor 30 Jahren ausgewiesen, aber seitdem kaum betreut worden. Aus dem Bundesprogramm „Natürlicher Klimaschutz“mit rund vier Milliarden Euro wollen wir möglichst viel Geld für die Moor-Renaturierung nach Nordrhein-Westfalen holen. Und wir wollen in NRW einen zweiten Nationalpark.
Wo könnte der sein?
KRISCHER Wir werden uns ein Verfahren überlegen, wie man das auswählt. Klar ist: Es muss aus einer ganzen Region heraus unterstützt werden.
Schwarz-Grün schließt Fracking in Nordrhein-Westfalen aus – bleibt es dabei?
KRISCHER Jetzt eine neue fossile Technologie anzugehen, die erst in Jahren Gas produzieren könnte, halte ich nicht für zukunftsfähig. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass es für diese Art der Politik in der Bevölkerung – wenn man mal von Extremen absieht – Unterstützung gibt. Zumal man da über viele unklare Folgeschäden redet. Die Diskussion sollten wir uns nicht antun. Ich sorge zusammen mit der Wirtschaftsministerin dafür, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren deutlich beschleunigen. Darum müssen wir uns kümmern, nicht um irgendwelche Fracking-Debatten, die in der Vergangenheit schon mal vor die Wand gefahren sind.
Sollte der Rest des Ortes Lützerath vor dem Braunkohlebagger gerettet werden?
KRISCHER RWE hat das Recht, die Kohle dort abzubaggern. Das ist durchgeklagt. Also ist diese Frage nur im Gespräch mit RWE zu klären. Wir müssen überhaupt vieles klären: Was passiert mit den Dörfern, die nicht abgebaggert werden? Wie müssen Erdmassen verteilt werden? Wie entstehen Seen, brauchen wir einen Biotopverbund? Was soll mit den ganzen Flächen passieren, die RWE gehören?
Werden Sie die Kapazitätserweiterung des Flughafens Düsseldorf auf den Weg bringen oder werden Sie das Vorhaben totprüfen? KRISCHER Das Thema liegt auf dem Tisch. Aber das Genehmigungsverfahren ist sehr komplex, beinhaltet ganz viele Fragen und läuft schon seit Jahren. Geben Sie dem Verkehrsminister ein paar Wochen Zeit, sich in die Tiefen einzuarbeiten.