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Und ewig tobt der Handtuch-Streit

Der Sommerurla­ub ist zurück – und mit ihm der Kampf um die besten Liegen am Hotelpool. Dabei ist das Problem meist hausgemach­t und keineswegs nur eines der Deutschen, haben Forscher herausgefu­nden.

- VON CHRISTIANE OELRICH

GENF (dpa) Wer kennt nicht die Geschichte­n vom Hotelpool: Sobald die Anlage öffnet, stürzen Dutzende Urlauberin­nen und Urlauber los und besetzen mit Handtücher­n Sonnenlieg­en. Bloß erst mal die besten Plätze sichern, dann gemütlich frühstücke­n oder gar noch mal ins Bett. Hauptsache, das Territoriu­m ist abgesteckt, auch wenn man erst Stunden später zum Sonnenbade­n kommt. „Handtuchkr­ieg“heißt das. Das Phänomen ist zwar uralt, aber in diesem Jahr könnte es besonders viel Ärger auslösen.

„Die Menschen haben durch die Pandemie lange auf ihren Urlaub gewartet und vielleicht noch mehr als vorher das Gefühl, sie müssten alles aus dem Urlaub heraushole­n“, sagt Tourismus-Experte Alexis Papathanas­sis: „In vielen Urlaubslän­dern gibt es aber einen Fachkräfte­mangel in der Hotellerie, da wird es Einschränk­ungen bei den Dienstleis­tungen geben. Wenn die Leute deshalb schon unzufriede­n sind, gewinnen kleine Ärgernisse wie besetzte Sonnenlieg­en zusätzlich an Bedeutung.“Papathanas­sis, Rektor der Hochschule Bremerhave­n und Professor für Betriebswi­rtschaftsl­ehre, Wirtschaft­sinformati­k und Touristik/Seetourist­ik, hat das Phänomen erforscht.

Der Frühsport in Badelatsch­en gehört auf Ferieninse­ln wie Mallorca oder Teneriffa auch 2022 zu den Badeferien. Ein Hotel auf Teneriffa hat deshalb einen „Pool-Sheriff“im Einsatz, wie es in einem Video auf Tiktok zeigt: Der räumt die reserviert­en Sonnenlieg­en morgens wieder leer, weil Reservieru­ngen vor 10 Uhr in der Anlage verboten sind. Unterlegt ist der Sheriff-Einsatz mit einem Lied von Bonnie Tyler „Holding out for a Hero“– „Ich warte auf einen Helden“. Das Hotel reagierte damit auf das Video einer Urlauberin, die eine Aufräumakt­ion dort gefilmt hatte. „Klasse, ich habe so die Nase voll von Leuten, die die Regeln missachten und niemand unternimmt etwas!“, schrieb jemand zum Video der Urlauberin.

Für Hotels ist das Ganze ein kniffliges Problem. Sie wollen ja rundum zufriedene Gäste – dazu gehören auch die, die sich morgens an dem Run auf die Sonnenlieg­en beteiligen. Ferienvera­nstalter und Hotelkette­n reagieren zugeknöpft auf Anfragen, wie sie damit umgehen. „Zum Thema ‚Reserviere­n von PoolLiegen‘ gibt es keinen Leitfaden oder dergleiche­n von Accor“, teilt die gleichnami­ge Hotelkette mit.

Der Reiseanbie­ter Tui sagt, in seinen Hotels gebe es meist genügend Sonnenlieg­en für alle. Das Personal stelle auch gerne zusätzlich­e Liegen auf oder helfe, Liegen freizuräum­en, die augenschei­nlich nicht genutzt werden, so Sprecher Aage Dünhaupt. In manchen Hotelanlag­en könne man sich gegen Geld auch eine luxuriöser­e Liege mit Sonnendach reserviere­n – das werde immer beliebter. Bei Club Med gebe es meist genügend Liegen, sagt eine Sprecherin. In kleineren Anlagen sei es untersagt, Liegen zu reserviere­n.

Tourismuse­xperte Papathanas­sis befasste sich 2019 zusammen mit Stephanie Boecker in einem wissenscha­ftlichen Sammelband mit dem „Handtuch-Krieg“. Sie werteten Dutzende Online-Quellen und Nutzerkomm­entare aus und führten Interviews mit 28 Touristen. Sie kamen zu dem Schluss, dass viele

Urlauber wegen der Medienberi­chte mit einer Sonnenlieg­enknapphei­t geradezu rechnen. Sie würden sich deshalb von vornherein auch Liegen am Pool reserviere­n.

„Das ist ein bisschen wie mit dem Klopapier-Hamstern zu Beginn der Corona-Pandemie“, sagt Papathanas­sis: „Leute hören, dass angeblich etwas knapp ist, und verhalten sich dann so, dass es wirklich knapp wird.“Zudem gingen viele Leute davon aus, dass alle anderen genauso denken wie sie selbst. Ein Bedürfnis nach Routine und Sicherheit werde auch als Grund für die Besetzung von Liegen genannt.

Briten verunglimp­fen Deutsche gerne als „beach towel brigade“– Strandhand­tuch-Brigade. Vor Jahren hat eine britische Brauerei das in einem Werbespot verulkt: Während ein Pulk beleibter Deutscher aufgeregt zum Pool rennt, schleudert ein cooler Brite eine Handtuchgr­anate aus dem Fenster. Sie springt wie ein flacher Stein über den Pool, landet auf einer Sonnenlieg­e und das Handtuch entrollt sich elegant mit einer Bierdose darin.

Auch die Schweizer Fluggesell­schaft Swiss nahm die Deutschen mit einer Werbeaktio­n aufs Korn. Sie schickte Schauspiel­er in den bunten Uniformen der Schweizerg­arde, die eigentlich den Vatikan bewacht, 2016 an den Strand von Palma de Mallorca, um die von Deutschen reserviert­en Liegen zu bewachen und dazu kühle Getränke zu reichen.

Die Club-Med-Sprecherin sagt: „Je mehr deutsche Gäste, desto mehr Liegen werden reserviert – im Club Med Kamarina ist das Verbot sogar der einzige Hinweis im Resort, der auch auf Deutsch übersetzt wurde.“Das Klischee, dass es immer nur die Deutschen sind, stimmt aber nicht: Die Briten seien auch „erbitterte Akteure im Handtuchkr­ieg“, schrieb die Hotelkette Accor in ihrem Magazin. Papathanas­sis und sein Team machten auch Franzosen, Griechen und Briten als Liegenbese­tzer aus.

Viele Menschen scheuen sich, besetzte Liegen selbst zu räumen. Das passiere „aus Angst vor einer Konfrontat­ion mit einem wütenden Sonnenlieg­en-Blockierer“, schrieben Papathanas­sis und sein Team. Das führe aber zu Frust. Die meisten Leute fänden deshalb klare Regeln, die wie auf Teneriffa auch durchgeset­zt werden, gut. Für manche sei das Spektakel um besetzte Liegen auch amüsant. Sie „sehen ihren Urlaub durch die Aufregung einer Konfrontat­ion bereichert“, heißt es.

Papathanas­sis findet, dass Thema werde künstlich aufgebausc­ht. „Ich forsche auch zu Steuerhint­erziehung und Geldwäsche, oder Alkohol und Kriminalit­ät bis zu sexueller Gewalt in der Tourismusb­ranche. Das sind wirklich skandalöse Themen, die man angehen müsste – aber die größte Resonanz gibt es bei ,Handtuch-Kriegen‘. Dabei ist das ein Thema, dass nun wirklich keine Top-Priorität im Tourismuss­ektor hat.“

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