Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein Flirt mit allen Genres
Der englische Songwriter Harry Styles versetzt sein junges Publikum in Köln in einen Ausnahmezustand.
KÖLN Wie lang oder kurzweilig 90 Minuten sein können, weiß jeder Fußballfan. Für 90 Minuten Musik gilt das genauso: Nur etwas mehr als eineinhalb Stunden benötigt Harry Styles, um die Lanxess-Arena in eine riesige Partyzone zu verwandeln. Das Tempo der Show ist hoch, die Qualität der Songs auch. Nach dem Konzert des 28-jährigen Briten, der mit der Band One Direction bekannt wurde und seit 2017 solo von Erfolg zu Erfolg eilt, ahnt man, warum er auf seiner „Love on“-Tour 15 Mal den Madison Square Garden in New York füllen wird. Er ist ein begnadeter Entertainer – und ganz nah am Publikum.
Die Tour findet zwei Jahre später statt als geplant. Inzwischen hat Styles nach seinem Debüt-Album „Harry Styles“und „Fine Line“mit „Harry‘s House“Album Nummer drei veröffentlicht. Wer „Sign of the Times“vom ersten Album, mit der er erstmals Nummer eins in den britischen Charts wurde, „Watermelon Sugar“, „Adore You“oder „As It Was“ nicht kennt, muss schon sehr nachhaltig aufs Radiohören verzichten.
Das Publikum in Köln kennt jeden der 20 Songs, die Styles mit höchster Intensität präsentiert. „Cologne, how are you feeling?”, ruft er in die Menge, die schon vor seinem Auftritt in Partystimmung ist. Die Regie spielt „Best Song Ever“von One Direction, der Boygroup, in der Styles nach der Castingshow „The X Factor“Mitglied wurde; offenbar kennen und verehren viele im Publikum Styles schon länger: Jeder Ausfallschritt,
jeder Hüftschwung, jede Kontaktaufnahme wird bejubelt.
Styles freut sich über so viel Zuneigung, auch für Gekreische während seiner Balladen hat er Verständnis. Immer wieder winkt er huldvoll in die Menge und verteilt Handküsschen, wenn er nicht gerade über die Bühne fegt. Er nimmt die Energie auf, die ihm entgegengebracht wird, und verwandelt sie in eine turbulente Show.
Styles ist dann am besten, wenn er sich festlegt auf Rock, Funk oder Ballade, auch wenn er alle Genres bedienen kann. Das rockige „Daylight” und das funkige „Cinema” gelingen hervorragend. „Wunderbar“ruft er vor den ruhigen Stücken „Matilda“und „Boyfriends“, die er an der Spitze des Bühnenstegs mit drei Musikerinnen der ausgezeichneten sechsköpfigen Band zelebriert.
Immer wieder nimmt er sich Zeit, die Botschaften aufzugreifen, die ihn in Form von Pappschildern, Rufen oder Papierfliegern auf der Bühne erreichen. Er weiß, dass er den Fans nicht nur coole Gesten und seine Hits schuldet. Er flirtet mit dem
Publikum, nimmt sich viel Zeit für Dialoge. Er ist ein Idol, ein Vorbild, auch eine Stilikone, die mit dem Thema sexueller Identität spielt. Er war der erste Mann auf dem Titel der „Vogue“– in Kleidern. Er ist Botschafter einer besseren, diversen Welt, in der die Regenbogenflagge, die er unter Jubel aus dem Publikum entgegennimmt, nicht fehlen darf.
Für manche ist er der Liebling der „Generation Regenbogen“, die an diesem Abend auch sich selber feiert – mit viel Pink, Lila und Federboas um den Hals. Zu Styles geht man wie zu einer coolen Party. Er liefert die passende Musik dazu. Die wird im Laufe der Show immer besser: Mit „Beautiful“und „Late Night Talking“, der vom nächtlichen Dialog eines Paares erzählt, biegt er in die Zielgerade ein, bevor er dem Publikum mit „Love of My Life“eine Atempause vor dem Zugabenblock gönnt. Zu dem zählen das großartige „Sign of the Times“, „Watermelon Sugar“sowie „Kiwi“. Styles kann 80er, 90er und 2022. Und das können nicht viele Popstars von sich behaupten.