Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Vom gefährlichen Hass in unseren Herzen
James Baldwins Essayband „Von einem Sohn dieses Landes“erscheint erstmals vollständig auf Deutsch.
Zur Beerdigung seines Vaters war James Baldwin zurückgekehrt und sah auf der Fahrt zum Friedhof die eingeschlagenen Schaufenster nach den Rassenunruhen, die im Juli 1943 auch Harlem erreicht hatten. Er bekam Angst bei dem Anblick. „Hass, der so viel zerstören konnte, zerstörte unfehlbar auch den, der hasste, das war ein unumstößliches Gesetz.“
Er selbst hatte das am eigenen Leib erfahren, als er in New Jersey in einem Lokal, das ironischerweise „American Diner“hieß, einen Burger bestellen wollte und die weiße Bedienung zu ihm sagte: „Schwarze werden hier nicht bedient.“Baldwin schleuderte daraufhin einen auf dem Tisch stehenden Wasserkrug nach der Kellnerin; ihm wurde bewusst: „Ich sah nicht sehr klar, das allerdings sah ich: dass mein Leben, mein Leben in Gefahr war, und zwar nicht durch etwas, das man mir antun könnte, sondern durch den Hass in meinem Herzen.“
Es ist eine der Schlüsselszenen in seinem Leben, die James Baldwin (1924–1987) in seinem Essay „Von einem Sohn dieses Landes“beschreibt. Der Text gibt seiner erstmals 1955 erschienenen Essaysammlung den Titel, die – man glaubt es kaum – erst jetzt erstmals in einer vollständigen Ausgabe auf Deutsch erscheint. Leider immer noch hochaktuell, wie auch die Black-Lives-Matter-Bewegung eindringlich zeigt, war es höchste Zeit dafür.
Schon der Titel der Erstübertragung von 1963 macht das klar, der wenig einfühlsam „Aufzeichnungen eines Eingeborenen“lautete. Und Miriam Mandelkow leistet die Neuübersetzung vorbildlich und nimmt den Texten aus übertriebener Political Correctness auch nicht den Zeitkolorit. Das N-Wort beispielsweise, das die Düsseldorfer Schriftstellerin Mithu M. Sanyal im Vorwort meidet, schreibt sie bewusst aus. Alles andere würde bei James Baldwin auch keinen Sinn ergeben und seine feinsinnigen Formulierungen entstellen.
Alle zehn Essays der Originalausgabe enthält der jetzt erschienene Band. Dazu James Baldwins Vorworte zu den Ausgaben aus den Jahren 1955 und 1984, der feststellen muss, dass sich in den beinahe 30 Jahren an der Situation fast nichts verändert hat und das „Mysterium der Hautfarbe“immer noch das Erbe aller Amerikaner ist.
Wie differenziert James Baldwin über Diskriminierung und Selbstwertgefühl der Amerikaner schreibt, ohne dabei zu stigmatisieren oder auszugrenzen, ist immer noch äußerst beeindruckend. Etwas davon wünscht man sich in den heutigen Debatten. „Der Schwarze in Amerika, düster als Schatten bezeichnet, der quer über dem Leben unseres Landes liegt, ist viel mehr“, schreibt Baldwin.
Info James Baldwin: Von einem Sohn dieses Landes. DTV, 240 Seiten, 22 Euro.