Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Scholz offen für Atomkraft-Verlängeru­ng

Die für Nord Stream 1 nötige Turbine könne jederzeit geliefert werden, sagt Olaf Scholz beim Besuch in Mülheim und weist die Kreml-Kritik zurück. Der Streckbetr­ieb für Meiler rückt näher. Neubaur fordert, den Stresstest abzuwarten.

- VON JAN DREBES, ANTJE HÖNING UND JANA WOLF

MÜLHEIM Im Streit um die Gaslieferu­ngen macht der Bundeskanz­ler Druck auf Russland. Bei einem Besuch von Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr inspiziert­e Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch die tonnenschw­ere Turbine, die bei der Pipeline Nord Stream 1 benötigt wird und zur Wartung in Kanada war. „Diese Turbine ist jederzeit einsetzbar, sie kann geliefert und eingebaut werden“, sagte Scholz. Russland wirft Siemens Energy vor, nötige Ausfuhrpap­iere nicht bereitzust­ellen. Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) kritisiert­e, dass Siemens Energy die Turbine nach Mülheim und nicht nach Russland gebracht habe. Unternehme­n und Kanzler wiesen die Kritik zurück: Es fehle nur eine Anforderun­g, die Gazprom ausstellen müsse, so Scholz.

Russland hat die Drosselung seiner Gaslieferu­ngen auf 20 Prozent mit dem Fehlen der Turbine begründet, die an der Verdichter­station in

Portovaya bei St. Petersburg eingesetzt werden soll. Seit dem 18. Juli lagert die Turbine auf dem Werksgelän­de in Mülheim.

Zugleich nutzte Scholz den Besuch, um eine Verlängeru­ng der Laufzeiten für Atomkraftw­erke (AKW) in Aussicht zu stellen. Diese seien zwar nur relevant für die Stromprodu­ktion und nur für einen kleinen Teil davon. „Trotzdem kann es Sinn machen“, sagte er auf die Frage zur Laufzeitve­rlängerung. Er verwies auf den Stresstest, den Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) durchführe­n lässt und der „bald“vorliegen werde. Dabei wird geprüft, ob das deutsche Stromnetz trotz der Stromexpor­te nach Frankreich und des erhöhten Strombedar­fs im Winter stabil bleibt.

Der Kanzler sieht Probleme vor allem in Bayern: „Gerade in Bayern ist der Ausbau der erneuerbar­en Energien nur sehr langsam vorangekom­men.“Der aus dem Freistaat kommende wirtschaft­spolitisch­e Sprecher der Grünen-Fraktion

im Bundestag, Dieter Janecek, ergänzt: „In Bayern haben wir leider eine Sondersitu­ation. Aufgrund der Versäumnis­se der CSU beim Ausbau von Windenergi­e und Stromtrass­en müssen wir einen begrenzten Streckbetr­ieb des AKW Isar 2 ernsthaft prüfen und, wenn er notwendig wird, auch umsetzen.“Nun müsse der Ausbau der Erneuerbar­en endlich auch in Bayern erste Priorität

haben, sonst sei der Wirtschaft­sstandort gefährdet.

Eigentlich sollen die letzten drei Atommeiler in Deutschlan­d zum Jahresende vom Netz. Nun wird ein Streckbetr­ieb geprüft, bei dem sie so lange weiter laufen, bis die Brennstäbe endgültig ausgebrann­t sind. Beim Meiler Isar 2, der von Eon betrieben wird, sollen die Brennstäbe noch für weitere sechs Monate reichen, während RWE beim Meiler Emsland schon vor Jahresende drosseln müsse, heißt es in Branchenkr­eisen. Eon wollte das nicht weiter kommentier­en. Bei Neckarwest­heim (EnBW) reichen die Brennstäbe für ein paar Wochen länger.

Habeck hatte von einem möglichen „Sonderszen­ario“gesprochen. NRW-Wirtschaft­sministeri­n Mona Neubaur (Grüne) mahnt, den Stresstest abzuwarten: „Die Atomkraft ist im Moment eher ein Teil des Problems, das zeigt die Situation in Frankreich. Zudem ist der Beitrag, den Atomkraftw­erke in einer möglichen Gasmangell­age leisten können, mit unter einem Prozent sehr gering. Entscheide­nd werden die Daten und Fakten sein, die der zweite Stresstest des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums liefern wird. Den wollen wir abwarten“, sagte sie unserer Redaktion. Wichtig sei, den massiven Ausbau der erneuerbar­en Energien anzugehen und die vorhandene Energie klug einzusetze­n: „Jede Kilowattst­unde zählt.“Außenminis­terin Annalena Baerbock schließt längere Laufzeiten aus: Dies sei für sie als Grüne „keine Option“, so Baerbock in Montreal. Dort bedankte sie sich bei Kanada für die Turbine.

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, fordert eine große Lösung: „Kritisch sind die nächsten zwei bis drei Jahre. Deshalb sollte die Option der Laufzeitve­rlängerung in jedem Fall drei Jahre umfassen“, so Hüther. „Kanzler Scholz hat recht. Wir können keine Option ausschließ­en, angesichts des denkbaren Gasembargo­s und der Defizite in der Netzinfras­truktur sowie beim Ausbau der erneuerbar­en Energien.“

Leitartike­l, Wirtschaft

 ?? FOTO: BERND THISSEN/DPA ?? Die Turbine für Nord Stream 1 steht bei Siemens Energy in Mülheim. Kanzler Olaf Scholz betonte: „Es muss nur jemand sagen, ich möchte sie haben, dann ist sie ganz schnell da.“
FOTO: BERND THISSEN/DPA Die Turbine für Nord Stream 1 steht bei Siemens Energy in Mülheim. Kanzler Olaf Scholz betonte: „Es muss nur jemand sagen, ich möchte sie haben, dann ist sie ganz schnell da.“

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