Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein Rahmen fürs richtige Lernen
Wie alles in der Bildungspolitik ist auch das sogenannte „Schreiben nach Gehör“geeignet, einen Glaubensstreit auszulösen. Kritiker sehen den Bildungserfolg von Kindern ernsthaft gefährdet. Befürworter – nicht selten Grundschullehrkräfte – sind ebenso verletzt wie empört, wenn dabei unterschwellig mitschwingt, sie würden Kindern schaden. Womöglich noch wissentlich. Sie verweisen auf die Forschung und Modelle, nach denen die Methode funktioniert.
Theoretisch funktioniert sie ja vielleicht. Unter Idealbedingungen – womöglich. Praktisch funktioniert sie aber nicht. Eltern berichten von frustrierten Kindern, die an der Rechtschreibung in der dritten, vierten Klasse nachhaltig scheitern. Pädagogen an weiterführenden Schulen haben den Eindruck, dass sie bei den Kindern Fehler ausbügeln sollen, die sie sich vorher antrainiert haben. Und laut einer Studie der Uni Bonn bringt das „Schreiben nach Gehör“Kinder schlicht zu deutlich schlechteren Leistungen als klassischer Fibel-Unterricht.
Die nachweislich zurückgehenden Kompetenzen von Grundschülern im Lesen und Schreiben allein aufs „Schreiben nach Gehör“zurückzuführen, ist zwar Unsinn. Erstens wurde die Methode weder überall angewandt, zweitens gehen die Kompetenzen von Viertklässlern deutschlandweit zurück, mutmaßlich auch pandemiebedingt, und drittens werden die Kleinen auch im Rechnen schlechter. Trotzdem: Die umstrittene Methode hat inzwischen viel Leid und Frust bei Kindern ausgelöst. Dass Nordrhein-Westfalen gegensteuert und es einen Rahmen gibt mit klaren Regeln für Rechtschreibunterricht von Anfang an und mit einem Grundwortschatz, den die Kinder verinnerlichen sollen, ist absolut richtig. Damit Grundschüler bei ihrem Wissen Mindeststandards erreichen können, muss man erst mal welche setzen.