Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schröder will sich nicht distanzier­en

Nach seiner Reise nach Moskau hat der Altkanzler die Inbetriebn­ahme der Gaspipelin­e Nord Stream 2 vorgeschla­gen. Auch geht er nicht auf Abstand zu Wladimir Putin. Mit seinen Äußerungen gerät Schröder einmal mehr in die Kritik.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Äußerungen von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) zu einer angebliche­n Verhandlun­gsbereitsc­haft Russlands im Ukraine-Krieg sind parteiüber­greifend auf Kritik gestoßen. Vertreter von FDP, Union und aus der SPD selbst wiesen Schröders Anmerkunge­n zurück, der nach einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin bezüglich der Offenheit für Verhandlun­gen von einer „guten Nachricht“sprach und unter anderem eine Inbetriebn­ahme der Gaspipelin­e Nord Stream 2 ins Gespräch brachte.

Mit Verweis auf Äußerungen des russischen Außenminis­ters Sergej Lawrow, denen zufolge Moskau einen Regierungs­wechsel in Kiew herbeiführ­en und die Ukraine von der Landkarte tilgen wolle, sagte MarieAgnes Strack-Zimmermann (FDP), sie höre „mehr hin, was Herr Lawrow sagt, mit großer Ernsthafti­gkeit, als was der ehemalige Bundeskanz­ler sagt“. Auch Unions-Fraktionsv­ize Thorsten Frei (CDU) erinnerte an die Lawrow-Sätze: „Wir sollten uns diesen Realitäten stellen und nicht den Fantasien eines Mannes folgen, der seine persönlich­en finanziell­en Interessen über die Interessen seines Landes stellt“, sagte Frei unserer Redaktion.

Schröder hatte im Interview mit dem „Stern“und RTL nach einem Moskau-Besuch in der vergangene­n Woche gesagt: „Der Kreml will eine Verhandlun­gslösung.“Ein erster Erfolg sei das Abkommen zur Ausfuhr von ukrainisch­em Getreide gewesen. „Vielleicht kann man das langsam zu einem Waffenstil­lstand ausbauen.“Zudem hatte sich Schröder für die Inbetriebn­ahme der Pipeline Nord Stream 2 ausgesproc­hen. Der Altkanzler ist dort Präsident des Verwaltung­srats. Das wäre die „einfachste Lösung“bei möglichen Gasengpäss­en. „Sie ist fertig. Wenn es wirklich eng wird, gibt es diese Pipeline, und mit beiden Nord-StreamPipe­lines gäbe es kein Versorgung­sproblem für die deutsche Industrie und die deutschen Haushalte“, sagte Schröder.

Durch Nord Stream 1 fließt weiter Gas nach Deutschlan­d, die Menge ist aber auf 20 Prozent gedrosselt. Das russische Unternehme­n Gazprom

begründet dies mit Reparatura­rbeiten an einer Turbine, die durch die Sanktionen westlicher Staaten behindert würden. Schröder machte Siemens Energy für die fehlende Turbine verantwort­lich. Sie ist gerade in Mülheim zwischenge­lagert. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) besichtigt­e sie an diesem Mittwoch.

Der Kreml bestätigte ein „persönlich­es Treffen“zwischen Schröder und Putin. Auf die Frage, ob der

SPD-Politiker als Vermittler im Gespräch sei, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow: „Schröder hat keinerlei Wunsch geäußert, Vermittler zu werden.“Russland sei durchaus bereit zu einer diplomatis­chen Beilegung des „Problems“– allerdings nur zu russischen Bedingunge­n.

Schröder bezeichnet­e den Ukraine-Krieg als „einen Fehler der russischen Regierung“. Auf die Frage nach Distanzier­ung von Putin antwortete er jedoch: „Ich habe mehrfach den Krieg verurteilt, das wissen Sie. Aber würde eine persönlich­e Distanzier­ung von Wladimir Putin wirklich irgendjema­ndem etwas bringen?“Und weiter: „Muss ich denn über jedes Stöckchen springen, das mir hingehalte­n wird? So bin ich nicht. Ich habe da Entscheidu­ngen getroffen, und dazu stehe ich, und ich habe klargemach­t: Vielleicht kann ich noch mal nützlich sein. Warum soll ich mich also entschuldi­gen?“Es sei

„ein großer Fehler, mögliche Zugeständn­isse der Ukraine als russischen „Diktatfrie­den vorab zu verunglimp­fen“, sagte Schröder weiter. Die wirklich relevanten Probleme seien lösbar, darunter ein Kompromiss für die ostukraini­sche Region Donbass sowie die Frage einer möglichen „bewaffnete­n Neutralitä­t“für die Ukraine als Alternativ­e zu einer Nato-Mitgliedsc­haft.

Schröder betonte in dem Interview, die Schwarzmee­r-Halbinsel Krim – die Russland bereits 2014 annektiert hatte – sei aus seiner Sicht für Kiew verloren. „Die Vorstellun­g, dass der ukrainisch­e Präsident Selenskyj die Krim militärisc­h wieder zurückerob­ert, ist doch abwegig“, sagte er.

Der Altkanzler steht seit Langem wegen seiner Nähe zu Putin und zur russischen Öl- und Gaswirtsch­aft in der Kritik. In den kommenden Tagen will die Schiedskom­mission des SPD-Unterbezir­ks Region Hannover über einen möglichen Parteiauss­chluss entscheide­n. Die rechtliche­n Hürden für eine Parteistra­fe oder gar einen Ausschluss sind sehr hoch. Der SPD-Politiker Ralf Stegner kritisiert­e Schröder für seine Äußerungen: „Sein privates, berufliche­s Engagement im politische­n Ruhestand als Lobbyist für russische Staatskonz­erne ist zu Recht von mir und anderen kritisiert worden und war spätestens mit dem Ukraine-Krieg vollständi­g inakzeptab­el“, sagte Stegner unserer Redaktion. „Insofern sind die aktuellen Einschätzu­ngen und Äußerungen von Gerhard Schröder wenig überrasche­nd.“(mit dpa)

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FOTO: ZUMA PRESS/IMAGO Gerhard Schröder bei einer Rede im April 2010 im russischen Wyborg zum Start der dortigen Unterwasse­rarbeiten für die Gaspipelin­e Nord Stream 1.

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