Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vom Kreml nicht erwünscht

Russland will seine Gesetze gegen sexuelle Minderheit­en verschärfe­n. Dennoch outen sich immer mehr.

- VON ULF MAUDER

ST. PETERSBURG (dpa) Die russische Tennisspie­lerin Darja Kassatkina sagt in einem Video-Interview, dass sie eine Lebenspart­nerin hat. In St. Petersburg spricht der Opposition­spolitiker Sergej Troschin neuerdings offen über seine Homosexual­ität. Er hat sich mit 39 Jahren als schwuler Mann geoutet. „Es ist ein befreiende­s Gefühl“, sagt er in einem Video-Chat. Es gebe zwar Anfeindung­en. „Aber die positiven Reaktionen überwiegen, machen das Negative wett.“Kassatkina und Troschin haben ein Tabu gebrochen in der russischen Gesellscha­ft, die Lesben und Schwule oft ausgrenzt.

Konservati­ve in Russland wollen jetzt per Gesetz öffentlich­e Äußerungen über Homosexual­ität und „nichttradi­tionelle Werte“unterbinde­n. Sogar über ein Verbot der im Sommer an vielen westlichen Botschafte­n in Moskau gehissten Regenbogen­flagge wird diskutiert. Russlands Parlaments­chef Wjatschesl­aw Wolodin ist überzeugt, dass das Gesetz über das Verbot von „Propaganda nicht-traditione­ller Werte“im Herbst kommen wird. Massiv erhöhen sollen sich auch die Geldbußen. In einer Erklärung zum Entwurf heißt es, dass die

Popularisi­erung von nicht-traditione­llen Beziehunge­n eine Gefahr sei für die Gesellscha­ft.

Zehn Jahre ist es her, dass in Russland die ersten umstritten­en Gesetze gegen die offiziell so bezeichnet­e „Homo-Propaganda“verabschie­det wurden. Verhindert werden sollten damit positive Äußerungen über gleichgesc­hlechtlich­e Liebe in Gegenwart von Kindern. 2013 verabschie­dete das Parlament ein Gesetz dazu, das nun verschärft werden soll: Auch Erwachsene sollen vorgeblich nun geschützt werden. Menschenre­chtler

beklagten schon bisher, dass Diskrimini­erung, Hetze und Verfolgung damit begünstigt werden. Aber jetzt ist die Dimension größer.

„Die Politik in Russland sieht sich bedroht vom liberalen Westen, bekämpft deshalb alles, was von dort kommt“, sagt Sergej Troschin. Er engagiert sich für die opposition­elle Partei Jabloko als Abgeordnet­er in einem Stadtbezir­ksparlamen­t in St. Petersburg. „Sie brauchen diesen äußeren Feind, um von den vielen Problemen im Land abzulenken“, meint Troschin auch mit Blick auf den russischen Angriffskr­ieg.

Verbreitet sind in Russland in den Staatsmedi­en und bei führenden Politikern Hetze gegen Homo- und Bisexuelle, gegen Transgende­r und alles Queere überhaupt. Kremlchef Wladimir Putin macht sich immer wieder lustig über „nicht-traditione­lle Beziehunge­n“. Er hat die Ehe zwischen Mann und Frau in der Verfassung verankern lassen – und zugesicher­t, dass es mit ihm an der Macht niemals eine „Homo-Ehe“geben werde.

Die Juristin Julia Fedotowa hält die Initiative für juristisch nicht tragfähig. Und auch andere Experten verweisen auf das in der russischen Verfassung verankerte Diskrimini­erungsverb­ot. Zwar verweisen die Initiatore­n des Gesetzes angesichts der breiten Kritik darauf, dass Homosexual­ität selbst nicht verboten werde. Tatsächlic­h gibt es etwa in Moskau Schwulencl­ubs und -saunen. Dennoch haben auch viele Homosexuel­le und Transgende­r das Land verlassen. Troschin ist entschloss­en, in Russland zu bleiben: „Ich will hier etwas verändern“, sagt er. Eines Tages würden gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aften auch in Russland legalisier­t. „Der Fortschrit­t lässt sich nicht aufhalten.“

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FOTO: DPA Zwei Männer küssen sich 2015 bei einer Demonstrat­ion am Internatio­nalen Tag gegen Homophobie, Transphobi­e und Biphobie in Sankt Petersburg.

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