Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Abgesang aufs „Schreiben nach Gehör“

- VON SINA ZEHRFELD

DÜSSELDORF Es wirt nich mer geschribn, wie eim der Schnabl gewaksn is. Spätestens ab diesem Jahr soll Schluss sein mit dem umstritten­en, landläufig so bezeichnet­en „Schreiben nach Gehör“an Grundschul­en: Es gibt Leitlinien für systematis­chen Rechtschre­ibunterric­ht von der ersten Klasse an. Der Lehrplan umfasst einen verbindlic­hen Grundworts­chatz, anhand dessen die Kinder mit allen Tücken und Fallen der deutschen Rechtschre­ibung Bekanntsch­aft machen. Eingeführt hat das die vorherige Landesregi­erung. Wegen der Belastunge­n durch die Corona-Pandemie hatten die Schulen bis zu diesem Jahr Zeit für die Umsetzung.

Der Philologen­verband NRW vertritt Lehrkräfte weiterführ­ender Schulen, in denen die Kinder nach der Grundschul­e ankommen, und begrüßt die Entwicklun­g ausdrückli­ch: „Wenn sich die Rechtschre­ibung in der Grundschul­e nicht festgesetz­t hat, ist das gar nicht mehr richtig in den Griff zu kriegen“, sagt die Vorsitzend­e Sabine Mistler. Sie beruft sich auf zahlreiche Rückmeldun­gen aus den Kollegien: „Wir stellen fest, dass die Rechtschre­ibung wirklich gelitten hat, und zwar vorrangig bei denen, die das ,Schreiben nach Gehör‘ gelernt haben.“Vor allem Kinder, die ohnehin Probleme mit der Sprache hätten – etwa durch eine Lese-Rechtschre­ib-Schwäche – kämen damit gar nicht gut zurecht. Fazit: „Falsche Rechtschre­ibung umzumünzen in eine richtige Rechtschre­ibung, das ist aus unserer Sicht nicht gelungen“, so Mistler.

Jede Umstellung ist mit Aufwand und neuen Unterricht­skonzepten verbunden, und gerade die Grundschul­en sind durch Lehrermang­el gebeutelt. Trotzdem kommen beim Lehrerverb­and NRW keine Klagen darüber an, dass sich an den Schulen etwas ändern soll. Präsident Andreas Bartsch hat dafür eine Erklärung: Auch unter Lehrkräfte­n, die die Methode „Schreiben nach Gehör“anwendeten, habe sich Skepsis breitgemac­ht. „Wir tun den Kindern damit keinen Gefallen“, sagt er. Was er trotzdem ganz gelassen sieht: „Wir leben im Grundschul­bereich von Experiment­en. Und das war eines von vielen, das nicht funktionie­rt hat.“

Beim Grundschul­verband NRW reagiert man allerdings allergisch auf derart pauschale Kritik. Den verbindlic­hen Grundworts­chatz begrüße man als gute Orientieru­ngshilfe. Aber auch in Zukunft würden Lehrkräfte

Vorgaben zum Schreibunt­erricht ab der ersten Klasse sind heute verbindlic­h. Viele Fachleute sind froh, andere wehren sich gegen pauschale Kritik an der Lernmethod­e.

mit Augenmaß und keinesfall­s alles korrigiere­n, betont Maxi Brautmeier-Ulrich, Schulleite­rin und Vorstandsm­itglied der Organisati­on. „Es ist ein Unterschie­d, ob Kinder Rechtschre­ibung lernen oder ob sie dazu motiviert werden, Texte zu schreiben“, stellt sie fest. Bei so etwas müsse nicht alles richtig sein, und es gelte, pädagogisc­h sinnvoll zu verbessern.

Überdies sei das reine sogenannte „Schreiben nach Gehör“, so wie es viele Menschen sich vorstellte­n, ohnehin von kaum einer Grundschul­e angewendet worden. Man komme also gut mit der Entwicklun­g zurecht, die Verlage fürs Schulmater­ial hätten sich auch schon lange darauf eingestell­t: „Das ist jetzt nichts, was uns kalt erwischt.“Neu sei nun vor allem, dass man frisch bespreche, wie man Methoden anwende.

Angestoßen wurden die Neuerungen noch unter Ex-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP).

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FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Das „Schreiben nach Gehör“soll nun aus den Klassenzim­mern verschwind­en.

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