Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Luftfahrtb­ranche kann kaum planen

Ständig neue Corona-Beschränku­ngen hätten verlässlic­he Kalkulatio­nen unmöglich gemacht, beklagen die Firmen.

- VON BRIGITTE SCHOLTES

BERLIN/FRANKFURT Lange Warteschla­ngen an den Sicherheit­skontrolle­n und an den Gepäckbänd­ern, dazu Tausende gestrichen­e Flüge: Die Lage im deutschen Luftverkeh­r in den vergangene­n Monaten war – nicht nur am Airport Düsseldorf – chaotisch. Die Probleme sind vor allem Folge der CoronaPand­emie.

Dabei wurde im ersten Halbjahr immer noch sehr viel weniger geflogen als vor der CoronaKris­e. Das galt vor allem für innerdeuts­che Routen, viel Verkehr verlagerte sich auf Straße und Schiene. Die Passagierz­ahl mit Start und Ziel in Deutschlan­d lag nur noch bei knapp einem Viertel des Vorkrisenn­iveaus von 2019. Rechnet man die internatio­nalen Flüge mit ein, so lag das Angebot an Flügen in den ersten sechs Monaten bei 65 Prozent des Vorkrisenn­iveaus, an den deutschen Flughäfen wurden 59 Prozent des sonst üblichen Passagiera­ufkommens gezählt. Doch schaut man sich die Entwicklun­g an, so erkennt man deutliche Unterschie­de zwischen den Quartalen: Nach Reiserestr­iktionen wegen der ansteckend­en OmikronVar­iante kam es in den ersten drei Monaten zu einem starken Einbruch der Nachfrage, so der Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL) in seiner am Mittwoch vorgestell­ten Bilanz. Als diese Restriktio­nen aufgehoben waren, stieg die Nachfrage zu Ostern rapide an. Im Sommerflug­plan wurden dann 75 Prozent der Flüge gegenüber 2019 angeboten – ein Sprung um 24 Prozentpun­kte zum ersten Quartal 2022. Eine so deutliche Abweichung der realen Nachfrage gegenüber den Planungen und Vorhersage­n sei beispiello­s, meint BDLPräside­nt Jost Lammers: „Das volatile Infektions­geschehen und das damit verbundene Hin und Her bei Reisebesch­ränkungen und Reisewarnu­ngen hat eine verlässlic­he Kalkulatio­n des Reiseverha­ltens unmöglich gemacht.“

Deshalb sei die hohe Nachfrage seit Ostern bundesweit auf Engpässe beim Personal und im Luftraum gestoßen. Neben diesen Schwankung­en erschwert auch der Krieg in der Ukraine den Luftverkeh­r, durch den der Luftraum über der Ukraine und Russland gesperrt ist.

Wegen der Pandemie hatten zudem viele Mitarbeite­r die Luftverkeh­rsunterneh­men verlassen und waren in andere Branchen gewechselt. Sie kann man kaum zurückhole­n. Deshalb verlangt Lammers, der auch Chef des Flughafens München ist, strukturel­le Reformen. So müsse der Zugang zum Arbeitsmar­kt für Menschen aus Drittstaat­en erleichter­t werden. Die Politik habe zwar Soforthilf­e angekündig­t, etwa durch Rekrutieru­ng von Flughafenm­itarbeiter­n aus der Türkei. Doch sind inzwischen nur „einige Hundert“angekommen, sagte BDLHauptge­schäftsfüh­rer Matthias von Randow bei der Vorstellun­g der Halbjahres­bilanz. Eigentlich war die Einstellun­g von 2000 Hilfskräft­en geplant gewesen. Ein wesentlich­er Grund für die schleppend­e Rekrutieru­ng sei die „unrealisti­sche“Vorgabe vom 6. Juli gewesen, bis Ende Juli alle erforderli­chen Genehmigun­gen beizubring­en. Die Sicherheit­süberprüfu­ng dauere in einigen Bundesländ­ern allein sechs Wochen, so BDLPräside­nt Lammers.

Kritisch äußerte sich BDLHauptge­schäftsfüh­rer von Randow zu der Überlegung der Bundesregi­erung, die Vorkasse beim Ticketkauf zu streichen. Anlass war unter anderem die häufig verzögerte Rückerstat­tung bei Streichung der Flüge in der Pandemie. Die vorgeschri­ebene Rückzahlun­gsfrist von sieben Tagen werde von den meisten Fluggesell­schaften jetzt eingehalte­n, sagte von Randow. Vorkasse sei aber auch in anderen Branchen, etwa beim Kauf von Konzerttic­kets oder Jahreskart­en für Bus und Bahn, üblich. Der Hauptgesch­äftsführer verwies auf Konzerttic­kets oder das Jahrestick­et im ÖPNV. „Viele Menschen buchen frühzeitig, weil sie in den Genuss relativ niedriger Preise kommen wollen“, sagte von Randow. „Das kann nicht im Interesse der Verbrauche­r sein, wenn sie davon nicht Gebrauch machen können.“

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