Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Studieren in Berlin ist fast unbezahlbar, aber schön
Studieren in Berlin. Zwischen Technoclubs, Kunst und Kultur in der Masse untergehen: Das ist der Traum so vieler Abiturientinnen und Abiturienten. Auch mein eigener. Politik studieren am Berliner Otto-Suhr-Institut. Am liebsten in den aufregenden Stadtteilen wollen wir wohnen, irgendwo zwischen Schöneberg und Friedrichshain.
Da wo es abends richtig losgeht und an den Sonntagen die gemütlichen Flohmärkte die Parks und Plätze füllen. Zumindest für mich hat sich dieser Traum schon lange relativiert. Spätestens seitdem die Corona-Pandemie die finanzielle Lage vieler Studierender auf die Zerreißprobe stellt, ist die Wohnungsnot überall spürbar.
Ich selbst wohne mit meinem Freund in einer anderthalb Zimmer-Wohnung. Altbau, vierter Stock, hell, laute Straße. Wir haben Glück, auch wenn die kleine Wohnung uns in Pandemiezeiten doch sehr herausgefordert hat.
Sich eine Wohnung oder ein Zimmer in der Hauptstadt zu leisten, ist für viele Studierende inzwischen fast unerschwinglich geworden. Manche müssen sich sogar ein WG-Zimmer teilen. Und dennoch: In Berlin zu studieren ist und bleibt ein Erlebnis.
Einige Freundinnen von mir teilen sich inzwischen ihre WG-Zimmer. Entweder weil es schlicht billiger ist oder sie auch nach monatelanger Suche kein passendes Zimmer finden konnte. In den aufregenden Bezirken darf man kaum noch suchen.
600 bis 700 Euro Miete für ein Zimmerchen sind inzwischen zum Normalfall geworden. Viele ziehen an den Stadtrand, nach Biesdorf hinter Marzahn oder nach Oberschöneweide. Eine Stunde Fahrzeit zur Uni gehört zum Alltag. Da überlegt man sich gleich zweimal, nicht doch im Homeoffice zu bleiben und wie in Pandemiezeiten einfach online teilzunehmen.
Ein Bekannter von mir wohnte ein dreiviertel Jahr immer irgendwo bei Freunden, während er arbeitete und zur Uni ging. Eine Kommilitonin zahlt für ihre Einzimmerwohnung so viel, dass sie zwei Jobs braucht. Und für die Wohnheime sind die Wartelisten extrem lang.
Wenn ich meine beste Freundin in Göttingen besuche, erinnere ich mich jedes Mal daran, dass es auch anders sein könnte. Große Zimmer, bezahlbar und in Uni-Nähe. Klar, Göttingen ist kleiner und nicht vergleichbar mit Berlin, und doch frage ich mich jedes Mal, warum ich in dieser unbezahlbaren Hauptstadt lebe.
Und dann erinnere ich mich. Ich studiere trotz der prekären Wohnsituation unglaublich gern in Berlin an der Freien Universität. Hier habe ich gelernt, kritisch zu denken, und hatte trotz Corona eine sehr erfüllte Studienzeit.
Das wünsche ich mir auch für all die, die noch nach Berlin kommen wollen, am liebsten mit bezahlbaren Mieten. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben und freue mich über jedes Studierendenwohnheim mehr, das gebaut wird. Und falls sich nichts ändert, habe ich eine gute Zeit gehabt in Berlin und mache meinen Master dann einfach in Göttingen.