Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kirchenfinanzen trotz Skandalen noch stabil
Obwohl die Zahl der Austritte rasant steigt, bleiben die Steuereinnahmen der katholischen Kirche hoch.
DÜSSELDORF Die katholische Kirche legt zu, zumindest bei den Kirchensteuern. Trotz zahlreicher Krisen konnten die 27 deutschen Diözesen, wie jüngst veröffentlicht, im vergangenen Jahr stolze 6,73 Milliarden Euro einnehmen. Bislang war lediglich 2019 – das letzte Jahr vor der Pandemie – ertragreicher: Damals verbuchte die katholische Kirche Rekordeinnahmen in Höhe von 6,73 Milliarden.
Das ist angesichts der seit Jahren grassierenden Kirchenkrise erstaunlich, auf dem zweiten Blick aber erklärlich. Da die Kirchensteuer sich aus der Lohn- und Einkommenssteuer ihrer Mitglieder speist und derzeit noch die geburtenstarken Jahrgänge im Beruf sind, fließt das Geld noch in Strömen. Das Ende dieser finanziell komfortablen Situation ist absehbar; ab 2025, wenn die „Baby-Boomer“in Rente gehen.
Der katholischen Kirche steht ein eklatanter Schwund bevor: an Einnahmen, der Zahl der Mitglieder und ihres Einflusses. Finanzwissenschaftler wie Religionssoziologen sind sich sicher, dass sich die Zahl der Mitglieder wie auch die Höhe der Steuereinnahmen schon bis 2060 halbieren wird. Das sind grobe Berechnungen aus heutiger Sicht. Doch wird sich die Kirche aus der Fläche zurückziehen und in manchen Regionen kaum mehr sichtbar sein, könnten die Rückgänge in allen Bereich eine noch größere Dynamik bekommen.
Natürlich hat auch die seit zwei Jahren andauernde Pandemie diese Entwicklung forciert. Nach der von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) jüngst veröffentlichten Statistik für die Jahre 2021/22 besuchten in etlichen Bistümern weniger als drei Prozent der Kirchenmitglieder die Gottesdienste. In Aachen und Essen liegt der Anteil bei 2,6 beziehungsweise 2,4 Prozent, im Erzbistum Köln bei 3,4 und in Münster bei 3,7 Prozent. Sicher, diese Zurückhaltung kann der Angst vor dem Virus geschuldet sein. Doch ob die Gläubigen in pandemisch gefahrloseren
Zeiten in die Gotteshäuser zurückkehren, ist eine berechtigte Frage.
Natürlich sind 360.000 Kirchenaustritte allein 2021 eine monströse Zahl, die als Reaktion auf den Missbrauchsskandal und der noch immer mangelnden Aufklärung gedeutet wird. Doch es bröckelt nicht weniger folgenreich an vielen anderen Ecken und Enden: Beispielsweise sank 2005 und 2021 die Zahl der Welt- und Ordenspriester in
Deutschland von 16.190 auf nunmehr 12.280.
Ein vom Glauben begleitetes Leben ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Inzwischen, schreibt der DBKVorsitzende Bischof Georg Bätzing, würden „vermehrt hochverbundene Katholikinnen und Katholiken austreten“und auch „damit ein Zeichen gegen die wahrgenommene Veränderungsresistenz ihrer Kirche“setzen.
Doch selbst mit Reformen würde der Abwärtstrend nicht gestoppt, glaubt man dem Religionssoziologen Detlef Pollack. Seine Studie kommt zum Ergebnis, dass die rasant steigende Säkularisierung gerade in westlichen Ländern keineswegs nur eine Folge des Missbrauchsskandals ist, sondern in der Individualisierung moderner Gesellschaften begründet ist, im wachsenden Wohlstandsniveau, dem breiten Konsum- und Freizeitangebot sowie der weltanschaulichen Vielfalt. Danach ist der Bedeutungsverlust der Kirche nicht aufzuhalten. Fraglich bleibt, was folgen wird.