Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Im Festzelt ins Krankenhau­s geprügelt

Beim Uedesheime­r Schützenfe­st kam es zu etlichen Körperverl­etzungen, die im Polizeiber­icht keine Erwähnung fanden. Am schwersten traf es einen 24-Jährigen. Dessen Eltern hadern mit der Vorgehensw­eise der Polizei.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

UEDESHEIM „Zurückstel­len“: Diese gar nicht einmal streng formuliert­e Aufforderu­ng ist das Letzte, woran sich ein 24-Jähriger Neusser erinnern kann. Als er wieder zu sich kommt, bemühen sich zwei Sanitäter in Zivil um ihn. Dazwischen: ein Faustschla­g. Danach: ein Elend.

Die Eltern fragen voller Unverständ­nis, warum der Mann, der ihren Sohn krankenhau­sreif geschlagen hat, scheinbar unbehellig­t bleibt. Warum er auf freiem Fuß bleibt, während ihr Junge nach Notfallver­sorgung und Untersuchu­ng im Lukaskrank­enhaus direkt in die Uniklinik Düsseldorf verlegt wurde, wo man ihm sein Gesicht mit Platten und 17 Schrauben wieder zusammenfl­icken musste.

Ort der Auseinande­rsetzung ist das Festzelt in Uedesheim. Der 24-Jährige ist eines von mehreren Opfern in dieser Nacht von Samstag auf Sonntag, doch keiner dieser Fälle findet im Polizeiber­icht Erwähnung. Der Grund: Der Fall gilt als ausermitte­lt, es besteht aus Sicht der Polizei kein Fahndungsd­ruck mehr, keine Notwendigk­eit, durch Veröffentl­ichung Zeugenhinw­eise zu generieren. Der Täter – weil weder angeklagt noch veruteilt besser Tatverdäch­tige – ist bekannt.

Polizeibek­annt sogar, wie Polizeispr­echerin Claudia Suthor auf Nachfrage bestätigt. Wegen Gewaltdeli­kten. Der 19-Jährige wurde erkennungs­dienstlich behandelt, fügt sie hinzu, und auf Fotos, die man den anderen Opfern dieses Abends von ihm vorlegte, übereinsti­mmend und eindeutig als Täter wiedererka­nnt. Im Rahmen der Ermittlung­en würden nun die ärztlichen Atteste der Opfer eingesamme­lt, diese ab Anfang Oktober als Zeugen gehört werden, bevor auch der Tatverdäch­tige eine Vorladung aufs Präsidium bekommt. Alles sei terminiert, sagt Suthor. Ermittelt werde wegen des Verdachts der schweren Körperverl­etzung.

Wird der Verdacht so bestätigt und der Fall so an die Staatsanwa­ltschaft abgegeben, muss diese die Sache weiterverf­olgen. Suthor: „Das ist kein Antragsdel­ikt.“

Die Eltern des Geschädigt­en überlegen trotzdem, als Nebenkläge­r aufzutrete­n. Sie haben inzwischen gehört, dass der Verdächtig­e auch auf anderen Festen durch Provokatio­nen und gewalttäti­ge Händel aufgefalle­n sei. Ihr Sohn war niederstre­ckt worden, weil sich der ihm völlig Fremde einfach ein Glas Bier vom Tablett genommen hatte und beim Wort „Zurückstel­len“gleich rot sah. „Ich kannte den gar nicht“, sagt der 24-Jährige.

Während der Ausgang des Verfahrens offen ist, sind die Folgen für den jungen Neusser bekannt. Nach einer Operation, bei der unter anderem ein doppelter Kieferbruc­h und wackelige Zähne gerichtet werden mussten, wird er sich sieben Wochen lang nur von Brühe und Haferpampe ernähren können. „Ich kann sie schon jetzt nicht mehr sehen“, sagt der Neusser, der aber froh ist, sprechen und einen Löffel in den Mund schieben zu können. Das ging in Woche eins überhaupt nicht. In einem halben Jahr steht eine zweite OP an. Es könne alles in Ordnung kommen, sagt er. Konjunktiv.

Schockiert über die „gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen mit tragischem Ausgang für einen Beteiligte­n“, zeigt sich der Vorstand des Uedesheime­r Bürgerschü­tzenverein­s. Man verurteile diesen Vorfall aufs Schärfste und stehe wegen dieser Angelegenh­eit in engem Kontakt mit der Polizei, fügt Vereinsspr­echer

Peter Lehmann hinzu. In Absprache mit der Polizei werde der BSV gegen den Verursache­r, der bekannt ist, Anzeige wegen Hausfriede­nsbruch erstatten. Das wird auch deshalb veranlasst, um gegen den Mann ein Hausverbot begründen zu können. Mit der Polizei und dem Zeltwirt werde über geeignete Maßnahmen zu sprechen sein, um derartige Vorfälle bei zukünftige­n Festen tunlichst zu vermeiden. So hatte die Security, die vor allem am Zelteingan­g eingesetzt war, den Dienst schon beendet, als der 24-Jährige drinnen auf die Bretter ging.

„In den vergangene­n Jahrzehnte­n ist es beim Uedesheime­r Schützenfe­st zu keinerlei gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen gekommen“, stellt Lehmann fest. „Umso bedauerlic­her ist dieser Vorfall.“

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FOTO: KLINIK Das Röntgenbil­d zeigt am Kinn, auf der rechten Seite am Kiefer und zwischen den Zähnen, wo mit Platten und Schrauben „geflickt“wurde.

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