Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Quo vadis, FDP?
Keine Fraktion mehr, keine Geschäftsstelle mehr und jetzt auch kein Stadtverbandsvorsitzender mehr: Die FDP in Neuss steht vor einem Scherbenhaufen. Die Partei sucht verzweifelt einen Neuanfang.
NEUSS Der Zeitpunkt überrascht die Parteimitglieder, nicht aber die Entscheidung: Sieben Minuten, bevor der Stadtrat am vergangenen Freitag zusammenkommt, ploppt in den Postfächern der FDP-Mitglieder eine E-Mail auf. Darin erklärt Thomas Schommers mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt als FDP-Stadtverbandsvorsitzender in Neuss. Am Abend zuvor war bei einer Vorstandssitzung deutlich geworden, dass das Tuch bereits zerschnitten war. Die FDP-Erfolgsgeschichte, die Schommers bei seinem Amtsantritt vor 13 Monaten ankündigte, war längst von der Realität überholt worden. Statt die FDP nach internen Querelen und einer krachenden Niederlage bei der Kommunalwahl 2020, bei der die Liberalen vier von sechs Stadtratsmandaten einbüßten, wieder auf Kurs zu bringen, steht die Partei vor einem Scherbenhaufen. Schommers, der die bei seinem Amtsantritt als Nachfolger von Michael Fielenbach bereits zerstrittene Partei einen wollte, darf dabei als gescheitert betrachtet werden.
Der tiefe Riss zwischen Partei und Fraktion – daran dass Thomas Schommers als Parteichef und Manfred Bodewig als Fraktionsvorsitzender nicht miteinander konnten, war schlicht nicht mehr zu rütteln – vertiefte sich sogar, als Bodewig entschied, die Fraktion zu verlassen und sie somit zu sprengen. Die Konsequenz: Gegen den langjährigen Fraktionsvorsitzenden läuft derzeit ein Parteiausschlussverfahren, das auf Bundesebene in die nächste Instanz geht.
Mit dem Verlust des Fraktionsstatus gingen auch finanzielle Einschnitte einher, da Zuschüsse durch die Stadt wegfallen. Im Juli mussten die Koffer in der FDP-Fraktionsgeschäftsstelle an der Breite Straße gepackt werden. Laut Jana Pavlik, Stadtverordnete und stellvertretende Vorsitzende des FDP-Stadtverbands, war der Mietvertrag zum 30. Juni ausgelaufen und ohne Fraktionsstatus und die damit verbundenen Zuschüsse für den Geschäftsbetrieb
habe man sich den bisherigen Standort nicht mehr leisten können. Seither läuft die Suche nach einem neuen Standort. Mehrere Vorstandsmitglieder erklären, dass man sich jedoch erst einmal einen Überblick über die Kassenlage verschaffen und sehen müsse, wo man sich eine Geschäftsstelle in welcher Größe leisten könne. Das soll im Vorfeld des nächsten Stadtparteitags erfolgen, der noch in diesem Jahr stattfinden soll. Wann er terminiert wird und wie es weitergeht – hierzu glühen die Telefondrähte unter den FDPMitgliedern, in diversen WhatsAppGruppen ploppen regelmäßig Nachrichten dazu auf.
Die große Frage ist nicht nur, wie die FDP in eine befriedete Zukunft geführt werden kann, sondern auch, wer diesen Weg einleiten kann. Denn die Partei besteht weiterhin aus mehreren Lagern. Mindestens zwei große davon lassen sich zuordnen: Es gab und gibt eine Gruppe um Thomas Schommers, auf der anderen Seite stehen unter anderem Vertraute des ehemaligen FDP-Stadtverbandsvorsitzenden Michael Fielenbach. Und es gibt viele Mitglieder, die ob der ständigen Streitigkeiten genug von alledem haben. Sie hoffen auf einen echten Neuanfang.
Eine Schlüsselrolle dabei kommt Tim Hammes zu. Er ist Beisitzer im Vorstand und Mitgliederbeauftragter – und wird den Neuanfang und die Vorbereitungen des Stadtparteitags wohl federführend in der Partei
moderieren. Er räumt ein, dass es schwierig werde, den Zwist in der Partei zu befrieden – und dass er alles daran setzen werde, dass dies gelingt. „Dazu werden viele Gespräche erforderlich sein“, sagt Hammes. „Wir müssen ein gutes Team finden, das den FDP-Stadtverband in Neuss wieder auf Kurs bringt.“Natürlich wirft das auch personelle Fragen auf. Hammes räumt ein, dass sich diese stellen, aber zunächst inhaltliche Arbeit und jede Menge Dialog anstehe. „Ich werde jeden, der das Amt des FDP-Stadtverbandsvorsitzenden aus Überzeugung und dem Antrieb macht, unseren Stadtverband in eine gute Zukunft zu führen, hundertprozentig unterstützen“, sagt er. Auch sein Name wurde bereits als möglicher Schommers-Nachfolger genannt. „Ich bringe mich gerne bei der FDP ein, aber für das Amt des Vorsitzenden bin ich beruflich und familiär zu sehr eingespannt“, erklärt er. Zudem dürfte es ein Vorteil sein, dass Hammes, der viele Gespräche mit den Mitgliedern führen wird, selbst nicht den Vorsitz anstrebt. Er ist für die FDP unterwegs und nicht in eigener Person. Definitiv nicht zur Verfügung steht Jana Pavlik. Als stellvertretende Vorsitzende wird sie bis zum Stadtparteitag zwar eine zentrale Rolle spielen. „Aber für den Vorsitz oder ein weiteres Vorstandsamt stehe ich dann nicht mehr zur Verfügung“, sagt sie. „Ich habe genug von all dem Streit.“Allenfalls beratend wolle sie sich weiter einbringen.