Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Eine Freundschaft auf wackeligen Füßen
Im RLT hatte das Stück „Die Wahrheiten“in Anwesenheit der Autoren Lutz Hübner und Sarah Nemitz Premiere.
NEUSS „Beim Lügen zuschauen“– so sieht der Regisseur selbst die Umstellung des Stücks „Die Wahrheiten“und weiß auch, dass die beiden Autoren, Lutz Hübner und Sarah Nemitz, seine Entscheidung gutheißen. Tom Gerber fangt nämlich nicht so an, wie Hübner/Nemitz ihr Stück geschrieben haben, sondern zieht Teile des dritten Aktes an den Anfang. Jene Stelle, an der die beiden Männer Bruno (Stefan Schleue) und Erik (Benjamin Schardt) und die beiden Frauen Sonja (Juliane Pempelfort) und Jana (Katrin Hauptmann) unabhängig voneinander zu ergründen suchen, warum Erik und Jana per SMS nach 17 Jahren Freundschaft einfach mit Bruno und Sonja Schluss gemacht haben.
Immer wieder geht Tom Gerber dabei zurück, flechtet diese oder jene Stelle der drei Akte ein und lässt so deutlich werden, warum und wieso die Freundschaft zwischen den beiden Paaren auf wackeligen Füßen steht.
Aber „beim Lügen zuschauen“? Es ist eher so, dass jeder davon überzeugt ist, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein. Jana, die Bruno vorwirft, sie bei ihrem ersten Auftrag vor vier Jahren in der Form missbraucht zu haben, indem er (seine) männliche Macht betont („Ich glaube, an meiner Depression ist Bruno schuld“). Bruno, der Erik mag, aber Jana für „ein hilfsbedürftiges, dauerüberfordertes Mädchen“hält. Sonja, die statt ihrem Mann lieber Jana ihre Vergangenheit erzählt („Ich kann nicht alles, was mich beschäftigt, mit dir klären.“) Erik, der seine Frau verstehen möchte, aber nicht genau weiß, wie („soll ich losgehen und ihm eine in die Fresse hauen? Hättest du jetzt gern diese Art von Mann?“).
Gerber macht aus dem Stück einen Schlagabtausch, indem er mal dieses Paar, mal jenes sprechen lässt (Hüber/Nemitz haben erst Bruno und Sonja, dann Jana und Erik und schließlich die beiden Männer und die beiden Frauen sprechen lassen). Dass er die vier Schauspieler in eine turnhallenähnlichen Umgebung setzt, passt wiederum ideal zu seiner Lesart.
Die Figuren stehen nicht nur bei ihm im Mittelpunkt. Allerdings erweist sich ausgerechnet Katrin Hauptmann als Jana als Schwachpunkt. Ihr nimmt man die Bedrängnis kaum ab, von ihrer „Erschöpfungsdepression“ist zwar oft und gern die Rede, aber wirklich glaubhaft wirkt sie nicht. Sie lässt den Zuschauer wenig schwanken zwischen einem „Hör ihr doch endlich zu!“und einem „Stell dich nicht so an!“. Zum Teil liegt das an der Rolle an sich, zu einem anderen aber auch an dem, was daraus gemacht wird. Die Autoren bieten keine Antwort an, der Regisseur erst recht nicht. Also entscheidet der Zuschauer, ob und wem er die „Wahrheit“abnimmt...
Stefan Schleue ist als Bruno jemand, dem als Finanzfachmann (mehr erfährt man nicht) ein Machtmissbrauch
sofort zugetraut wird. Benjamin Schardt spielt den Erik als einen Unentschiedenen – er möchte seiner Frau Jana glauben, aber genauso auch dem Freund Bruno. Sicher fühlt er sich nur bei seinen zahlreichen Seitensprüngen. Juliane Pempelfort als Sonja schließlich wirkt sympathisch – und beherrscht. Eben – so charakterisiert sie ihr Mann Bruno – „souverän, intelligent, schön, viel erfahrener“. Wenn sie weint, hat das nichts mit Koketterie zu tun, sondern kommt aus ihrem Innersten. Sie ist von den Vieren diejenige, die gelernt hat und selbst ihren Mann bissig in seine Schranken verweist. Sie braucht aber jemanden zum Reden... Wie Jana, von der sie ein völlig anderes Bild als ihr Mann hat. Zu ihr sucht sie den Kontakt – wie Jana auch umgekehrt zu Sonja. Zum Schluss wirkt nämlich auch Jana souveräner. Zumindest ein bisschen.