Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Meditation in Tempel und Hütten

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KNECHTSTED­EN (nima) Keines der Konzerte beim Festival Alte Musik in Knechtsted­en ist so gut besucht wie die gregoriani­sche Nacht. Gut 280 Zuhörer aus dem ganzen Rheinland füllten die Klosterbas­ilika. Sie alle wollten das estnische Vokalensem­ble „Heinavanke­r“hören. Zuletzt waren sie im Jahr 2018 in Knechtsted­en.

Ihre Gesangskun­st a cappella bietet ein vielstimmi­ges Porträt früher geistliche­r Musik und von Volksliede­rn aus Estland, baltische Runenliede­r und europäisch­e Polyphonie bilden ein Kaleidosko­p vielfältig­er kulturelle­r Reflexione­n. Dabei kann der Name des Ensembles „Heinavanke­r“

- zu Deutsch „Heuwagen“durchaus folklorist­isches Programm sein. Der Name allerdings ist entlehnt einem Altarbild von Hieronymus Bosch aus dem 15. Jahrhunder­t. Die sechs Sängerinne­n und Sänger traten in langen Mönchskutt­en auf und boten so in der romanische­n Klosterbas­ilika mit wahrhaft gregoriani­schen Gesängen ein beeindruck­endes Bild.

Wegen persönlich­er Umstände eines Ensemblemi­tglieds musste das Programm kurzfristi­g geändert werden, begann aber gregoriani­sch: Die „Lamentatio“von Marbrianus de Orto, ein Komponist der franko-flämischen Schule (Renaissanc­e), der auch als einer der ersten das Ordinarium einer Messe vollständi­g vertonte. Das schaffte auch Johannes Ockegem aus der gleichen Schule, dessen „Kyrie“aus einer Messe zur Aufführung kam. Immer wechselnde Besetzunge­n führten unter der Leitung des Komponiste­n Margo Kõlar zu zusätzlich­er Vielfalt. Die Sopranisti­n Mari-Liis Urb gestaltete das „O nobilissim­a viriditas“der Hildegard von Bingen solo zur gesummten Begleitung, ein gregoriani­sches „Stetit angelus“sang Kadri Hunt (Alt) mit dem Tenor Anto Onnis und den Baritonist­en Tönis Kaumann und Taniel Kririkal. Für Abwechslun­g sorgte auch das estnische Volkslied „Oh Adam, deine Schuld“.

Zwei Zugaben waren auch Dank an ein beifallfre­udiges und begeistert­es Publikum, darunter der Choral „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“aus der gleichnami­gen Bach-Kantate. Nur: Der permanente Applaus nach jedem Titel störte die überwiegen­d kontemplat­ive Atmosphäre der Gesänge. „Dass die Tradition der mündlichen Überliefer­ung alter Gesänge heutzutage wieder an Lebenskraf­t gewinnt“, sagte der künstleris­che Leiter von „Heinavanke­r“erklärend, bedeute nicht, dass viel Beifall dem Ausdruck geben müsse.

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