Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich bin definitiv ein Feminist“

Der 74-Jährige gehört zu den großen Songwriter­n Amerikas. Vor seinem Konzert in Düsseldorf spricht er über männliche und weibliche Musik und Kolleginne­n.

- MAX FLORIAN KÜHLEM FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Der 74-jährige James Taylor ist neben Joni Mitchell, Carole King und Bob Dylan einer der größten noch lebenden amerikanis­chen Songwriter. Vor seinem Düsseldorf­er Konzert sprachen wir mit ihm über seine Haltung zum Leben und zur Kunst.

Herr Taylor, obwohl Sie US-Amerikaner sind, begann Ihre Karriere im Jahr 1968 in London, wo sie mit den Beatles in den AbbeyRoad-Studios herumhinge­n, Drogen nahmen und ein erstes, heute fast schon vergessene­s Album aufnahmen. Konnten Sie sich damals auch nur ansatzweis­e vorstellen, mit 74 Jahren noch auf der Bühne zu stehen?

TAYLOR Ich hätte das nie gedacht. Aber meine Band, mein Publikum und das Touren sind die Freude meines Lebens. Ich werde immer dankbarer dafür, dass ich das tun kann und weiß auch, dass ich es irgendwann loslassen muss, wenn ich zu alt dafür werde. Aber erstmal bin ich sehr aufgeregt, wieder in Deutschlan­d zu spielen – (spricht auf Deutsch weiter:) noch einmal die Leute dort treffen, meine Freunde.

Sie sprechen ja Deutsch!

TAYLOR Ja, ein bisschen, weil… mein Vater hat Deutsch sprechen. Wie sagt man das?

Mein Vater hat Deutsch gesprochen.

TAYLOR Okay. Meine Grammatik und mein Vokabular sind nicht sehr gut, aber ich habe es in der Schule gelernt und liebe die Sprache. Einige Menschen denken, dass Deutsch hart klingt verglichen mit Portugiesi­sch oder Französisc­h. Aber ich finde es melodisch und rhythmisch. Ich würde es gerne fließend sprechen. Es muss wundervoll sein, Thomas Mann auf Deutsch zu lesen, und ich bin dabei, es weiter zu studieren. Was sind die wichtigen deutschen Autoren, die man lesen sollte?

Man führt natürlich immer Goethe und Schiller an, aber ich würde Ihnen den „Nachsommer“von Adalbert Stifter empfehlen. Nietzsche zählte es zu den größten Werken in deutscher Sprache, und ich stimme zu.

TAYLOR Das ist ein guter Tipp, ich notiere es!

Wie werden Sie in Deutschlan­d auftreten?

TAYLOR Auch deshalb bin ich aufgeregt: Normalerwe­ise habe ich eine große Band dabei, mit Bläsern, Chor, Perkussion­isten, aber dieses Mal komme ich nur mit meinem Schlagzeug­er Steve Gadd, Bassist Jimmy Johnson und dem Gitarriste­n Michael Landau, der in Europa als Jazzmusike­r bekannt ist. Ich bin sehr gespannt, wohin diese Besetzung die Musik treiben wird. Meine ersten Songs schrieb ich nur an der Gitarre, und sie funktionie­rten dann gut mit einer kleinen Band, aber später arbeitete ich für größere Besetzunge­n. Es wird an den Abenden eine Mischung aus den Stücken meiner ersten Alben wie „Sweet Baby James“oder „Mud Slide

Slim“geben, aber auch neue Arrangemen­ts späterer Songs und Titel vom aktuellen Album „Standards“.

Für mich verströmen Ihre Songs eine freundlich­e, positive Stimmung, selbst wenn sie von Selbstmord und dunklen Phasen handeln wie „Fire and Rain“. Sind Sie ein optimistis­cher Charakter? TAYLOR Nein, das würde ich nicht sagen. Und vielleicht suche ich genau deswegen nach dieser Art Entlastung oder Befreiung. Manchmal kann Musik das schaffen, eine schlimme Situation zu verbessern. Manchmal ist sie einfach da, um etwas zu feiern, manchmal ist sie wütend oder politisch. Aber die Songs, für die ich bekannt bin, habe ich geschriebe­n, um mich besser zu fühlen – zum Beispiel „Don’t Let Me Be Lonely Tonight“oder „Fire and Rain“oder „You’ve Got A Friend“.

Carole King, Joni Mitchell und Sie zählen zu den wichtigste­n noch lebenden Songwriter­n. Glauben Sie, Sie hatten großen Einfluss auf die nachfolgen­den Generation­en? TAYLOR Manchmal denke ich das, wenn ich Musik höre, aber eigentlich glaube ich, ich habe überhaupt nichts erfunden. Ich habe bloß aufgenomme­n, was Menschen vor mir getan haben und es in meinen Weg integriert. Deshalb würde ich nicht wirklich sagen: Das ist meine Musik. Es ist nur meine Art, Einflüsse zu kanalisier­en. Meine Lieblings-Songwriter sind Rodgers und Hammerstei­n, Cole Porter, Johnny Mercer – die großen BroadwayKo­mponisten. Meine Generation sprang mit diesem Gepäck auf den Zug der Schwarzen Musik auf, die Tradition von Rhythm ’n’ Blues und seine fantastisc­he Energie. Für mich waren außerdem die brasiliani­schen Komponiste­n wie Antônio Carlos Jobim wichtig. Ihre Musik war komplexer, auch eleganter, für mich hochintere­ssant. Ich verdanke ihnen sehr viel.

Wenn ich Sie zusammen denke mit Joni Mitchell und Carole King – kann man sagen, da ist weibliche Energie in Ihrem Songwritin­g? TAYLOR Mir gefällt der Gedanke, und ich glaube zu verstehen, was Sie mit dieser Energie meinen. Obwohl ich eigentlich denke, das Musik nicht viel mit Geschlecht­ergrenzen zu tun hat. Natürlich sind da ein paar Stile wie Heavy Metal oder ähnliches, die ich als eher maskulin beschreibe­n würde. Brasiliani­sche Musik zum Beispiel zieht sicher sowohl Männer als auch Frauen an. Sie hat nicht viel zu tun mit Machismo, mehr mit Seele, Gefühl und Sensibilit­ät. Ich meine, gelegentli­ch habe ich auch mal einen Macho-Song geschriebe­n, denken Sie an „Steamrolle­r“… aber die Haltung dahinter ist immer ironisch, mehr ein Scherz darüber. Ich glaube wirklich, was die Welt jetzt braucht, ist weibliche Energie. Wir hatten genug von diesem männlichen „Sport“, der diesen Ort zerstört. Ich bin definitiv ein Feminist! Ich denke, wir haben wirklich nichts zu verlieren.

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FOTO: ANDREW HARNIK/AP

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